die als Beleg für Graggers Behauptung vom Einfluß des .Ungarlandes" auf die deutsche Literatur genannt werden können - zumindest wenn wir den Überblick mit dem Jahr 1912, in dem Graggers Artikel erschienen war, beenden. Problematisch ist an Graggers Behauptung, daß er den Eindruck erweckt, als hätte Ungarn einen sehr großen Einfluß auf die deutsche Literatur gehabt, was aber nicht den Tatsachen entspricht. Wohlweislich bleibt Gragger dem Leser die Namen der vermeintlich .Beeinflußten' schuldig. Die ungarndeutsche Literatur, d. h. die Literatur der in Ungarn lebenden deutschen Minderheit meint Gragger an dieser Stelle augenscheinlich nicht, dabei würde auf sie - so epigonal und zweit-, wenn nicht sogar drittrangig sie auch sein mag - die Feststellung zutreffen, daß .das Ungarland auch durch seine Landschaften und Bewohner mit ihren ethnographischen Eigentümlich- keiten und durch sein Gesellschaftsleben" sie beeinflußte. Nur: dies war keine deutsche, sondern eine deutschsprachige Literatur.
Gragger setzt seine Argumentation fort:
„Nach Georg von Gaal und dem Grafen Johann Majlalth entwickelte der rührige Karl Kertbeny die bedeutendste Vermittlerrolle für die ungarische Literatur in Deutschland. Auf seinen Reisen, die er nach dem Freiheitskampf Ungarns durch ganz Europa antrat, besuchte er die größten deutschen Dichter, übergab ihnen seine Übersetzungen aus der ungarischen Literatur und machte sie auf die großen Poeten seines Landes aufmerksam. In Paris besuchte er den siechen Heine und machte ihn mit Petöfis Dichtung bekannt; trotz ihrer Schwerfälligkeit las Hebbel seine Übersetzungen im .Album hundert ungarische Dichter' gerne; 1851 überreichte er seine Anthologie .Ausgewählte ungarische Volkslieder' mit einer überschwenglichen Vorrede Bettinen von Arnim, der im selben Jahre auch Therese Pulszky ihre Sammlung .Sagen und Erzählungen aus Ungarn' widmete; 1852 ließ Kertbeny vor die .Nationallieder der Magyaren' die Widmung: .Dem deutschen Dichter Ludwig Uhland sei diese Übersetzung ungarischer Nationalliteratur gewidmet' drucken."
Karl Kertbeny hieß eigentlich Karl Maria bzw. Karoly Maria Benkert (1824-1882). Er kam in Wien zur Welt und wuchs zweisprachig auf. Sein Leben lang setzte er sich - eher zielstrebig als erfolgreich - für die Verbreitung der ungarischen Literatur im deutschen Sprachraum ein, wobei seine Übersetzungen der Gedichte Sandor (dt. .Alexander') Petöfis am bekanntesten wurden. Die Behauptungen, nach denen „Hebbel seine Übersetzungen im .Album...' gerne (las)" sowie das „Überreichen" seiner Anthologie an Bettina von Arnim sollte man mit Vorsicht genießen. Auf jeden Fall war alles viel weniger spektakulär, als es die Formulierung ahnen läßt.*
Hatte Gragger bis an diesen Punkt .nur" übertrieben, so verläßt er im weiteren mehrfach den Boden der Realität:
•Siehe hierzu auch: Kurze Memoiren von K. M. Kertbeny. Dresden o. J., Josef Fekete (hrsg.): Datenblätter zu K. M. Kertbenys Memoiren. Leipzig 1876/77; Detrich Marta: Kertbeny Karoly elete es müfor- ditoi munkässäga/Karoly Kertbenys Leben und seine Tätigkeit als Übersetzer. Szeged 1936.