Auf der Schwingen Wuchs nicht harr' du!
Denn, so bald sie wüchsen heute,
Stutzen wieder das Gefieder Dir sogleich die bösen Leute.
Fontanes Gedicht hat folgenden Wortlaut:
Der Kranich*
Rauh ging der Wind, der Regen troff,
Schon war ich naß und kalt:
Ich macht' auf einem Bauernhof Im Schutz des Zaunes halt.
Mit abgestutzten Flügeln schritt Ein Kranich drin umher,
Nur seine Sehnsucht trug ihn mit Den Brüdern übers Meer;
Mit seinen Brüdern, deren Zug Jetzt hoch in Lüften stockt Und deren Schrei auch ihn zum Flug In fernen Süden lockt.
Und sieh, er hat sich aufgerafft.
Es gilt erneutes Glück; - Umsonst, der Schwinge fehlt die Kraft,
Und ach, er sinkt zurück.
Und Huhn und Hahn und Hühnchen auch Umgackern ihn voll Freud' - Das ist so alter Hühner-Brauch Bei eines Kranichs Leid.
Allein schon ein flüchtiger Vergleich der beiden Gedichte zeigt, wie übertrieben die Formulierung vom «Einfluß des Aranyschen Gedichts“ ist, um so mehr, da selbst die Bildwahl, der Topos - Vogel mit gestutzten Federn, kann nicht fliegen, Sehnsucht nach der Ferne, nach Freiheit — nicht sehr ungewöhnlich ist. Allein in der deutschen Literatur gibt es eine Reihe von Beispielen hierfür. Über die Bemerkung hinaus, daß speziell der Kranich nicht nur bei Schiller eine besondere Rolle spielt, sondern auch der von Fontane geschätzte Lenau ein Gedicht mit dem Titel «Der Kranich" geschrieben hat (was Grag- ger in seiner Schrift über Fontanes Verhältnis zu Lenau mit keinem Wort erwähnt) 14 , könnte man die „Auswahl“ an ähnlichen Gedichten auch auf die märkischen Dichter einengen, und da kämen wir an Ewald Christian von Kleists Fabel «Der gelähmte Kranich' wohl kaum vorbei 15 , die ebenfalls viele, wenn nicht sogar noch mehr Ähnlichkeiten und Parallelen zu Fontanes Ge-
’ [Fußnote Gragger dazu: Gedichte 1851, 8. Aull. Gesammelte Werke, Zweite Serie, I, S. 7] 97