Heft 
(1991) 52
Seite
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THEODOR FONTANE GESELLSCHAFT e.V.

| Helmuth Nürnberger, Hamburg

1 Einführende Worte zur ersten Jahresversammlung der Fontane-Gesellschaft ' am 27. 9.1991 in Gildenhall

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

mit großer Freude begrüße ich Sie und mit Zittern und Zagen. Die Freude ge­hört ganz der Öffentlichkeit und das Zittern und Zagen ganz meinem Herzen. Daher rede ich klar und vernehmlich von der Freude - und vom Zittern und Zagen rede ich auch. Die Literatur, meine lieben Freunde, bringt alles ans Licht, und im Zeichen der Literatur haben wir uns hier versammelt.

Kaum scheint es erforderlich, über die Gründe für die Freude zu sprechen. Sie liegen zutage, jeder empfindet sie. Jeder empfindet sie vermutlich ein wenig anders. Leser sind einzelne, und wenn sie einander gesellig treffen, so sind die Erfahrungen, von denen sie zehren, ihre Erfahrungen als einzelne Le­ser. Wenn ich mich der Metaphorik der Gefühle bedienen darf, wir haben doch alle unser persönliches Liebesverhältnis zu Fontane, und die Erfahrungen der Liebenden sind wie ihre Schicksale nun einmal verschieden. Einige von uns sind vielleicht erst im Geiste verlobt, sie sind dem Dichter aufrichtig geneigt, aber sie sind sich doch noch nicht ganz sicher, ob der dritte, sechste, neunte Roman von Fontane, den sie lesen werden, ihnen so gut bekommen wird wie der erste. Es wird Fälle von silberner, goldener, steinerner Hochzeit unter uns geben und gewiß auch ungebundene Liebhaberinnen und Liebhaber, die sich zwar intensiver Begegnungen mit Fontaneschen Texten rühmen könn­ten, aber gewillt sind und gar nicht anders können, als neben ihnen und nach ihnen bevorzugt noch anderen Texten sich zuzuwenden. Alte Editoren wiederum können auf eine langjährige stabile Partnerschaft zurückblicken, gelegentlicher Beziehungskrisen und Trennungsgelüste unerachtet. Wer könnte für andere Leser sprechen, es kann es jeder nur für sich selbst. Alles, was ich dazu sagen kann, ist an meine Perspektive, meinen Ausdruck gebunden. Die Vergleiche, deren ich mich soeben bedient habe, sind subjektiv, für eine offi­zielle Begrüßung vielleicht zu persönlich - aber, so möchte ich mit Fontane argumentieren dürfen:Aus Begeisterung und Liebe Hießt alles", und ohne Begeisterung und Liebe hätten wir uns doch wohl hier nicht versammelt am Ruppiner See und in der Nähe jenes anderen, weit geheimnisvolleren Sees, dessen Namen ich nicht zu nennen brauche.

Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen nicht unerhebliche Mühen der Anreise auf sich genommen. Dafür danke ich Ihnen und bitte Sie, sich even­tueller Pannen zu getrosten. Mit einemFrachtwagen, so hat Fontane einmal

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