Heft 
(1991) 52
Seite
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Wenden wir uns den Hauptpersonen in diesem handlungsarmen, aber gesprächs­reichen Roman zu, so werden sich die meisten Leser nicht über deren Zahl einigen wollen, die bei einzelnen Interpretationen zwischen einer und sechs Figuren schwankt. Daß die eigentliche Zahl der handelnden Figuren im Roman etwa einhundert betrifft, wird manchen überraschen. Rechnet man die Zahl von gelegentlich auf tretenden Torfinspektoren, Logenbrüdern, Schuljungen, Häus­lern, Teerschwelern und Glashüttenleuten dazu oder gar die historischen Ge­stalten wie Bismarck, Moltke, Hohenlohe und die ganzen Fürstlichkeiten oder aber auch die dramatis personae der zahlreichen Anekdoten im Werk, so steigt die Zahl auf Hunderte von Menschen der verschiedensten Provenienz. Fast sämtliche sozialen Schichten des wilhelminischen Deutschlands sind im Roman direkt oder andeutungsweise vertreten. Die Zahl der auf fontanesche Weise »An­wesenden' umschließt Könige und Prinzen - letztere etwa in Woldemar Stech­lins .Prinzenregiment -, umschließt Landadel und Dienstadel, Neuadlige und andere eifrige Aufstreber aus dem neuen Mittelstand. Hier sind neben Militärs und Geistlichen, Landpfarrern und Landärzten jene tradierten Beamten zu fin­den, vom Verwaltungs- zum Schulmenschen, vom Wachtmann zum Postboten, die zusammen das soziale Militärsystem des alten Preußen, im Wort von Otto Büsch, unterhielten. Auch Kossäten, Kutscher und bildungsbeflissene Dienstmädchen sind neben Damen der höheren Gesellschaft anzutreffen, wie auch eine unehe- l iche Mutter in Berlin, ihr Kind und die unentbehrliche Großmutter zu Hause auf dem Land, - alle sozusagen in ihrer exemplarischen Eigenschaft, das Da­sein, die Dynamik und Problematik der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Zeit zu vermitteln. Auch ein Wanderapostel, der genannt wird, aber nicht direkt auf- tritt, birgt politische und nicht nur soziale Wirklichkeit in sich. Damals hatten sich gerade im Zug der Politisierung der Unterschichten auf dem Land einzelne Parteiführer solcher Menschen bedient. Gemeinsam, ob als Haupt- oder als Nebenfigur oder auch nur gegenwärtig in dem Hinweis eines Reisenden, konsti- tuieren diese Vertreter ihrer Schicht oder Gruppe die außergewönliche gesell­schaftliche .Dichte' des Werkes.

Wie differenziert Fontane innerhalb der einzelnen Schichten verfährt und wie vielfach und verschlungen sind die Bezüge!

Allein schon innerhalb der Gruppe der Adligen treten auf oder werden nament­lich erwähnt die verschiedenen Standesherren, das sind die früher souveränen und seit 1803 und dem Ende des alten Reiches mediatisierten Fürsten, Reichs­fürsten wie die Metternichs, preußische Prinzen in Woldmars Regiment, Grafen wie die Barbys, die aber, wie Czako im 21. Kapitel meint, auch .vordem zu den Reichsunmittelbaren gehören. Auch der süddeutsche Adel ist in der Figur der Berchtesgadens vertreten, ferner der Mecklenburger Adel in den Boitzen- burgern und Bassewitzens, und schließlich begegnen wir zahlreichen Vertretern des niederen Dienstadels, darunter den Rittergutsbesitzern in Ostelbien in all ihrer Schrulligkeit sowie den dort aus wirtschaftlicher Not zugelassenen Neu- nobilitierten, van Peerenboom etwa neben dem berüchtigten Gundermann und seiner im dubslavschen Wort wie »'n Schlittenpferd' aufgemachten Ehehälfte. Und auch innerhalb der einzelnen Adelsschicht welch ein Reichtum an histori-

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