»Das ist der Stechlin, der See Stechlin .'
Und nach dieser nur scheinbar topographischen Erzählweise in typisch fontanescher Manier wird uns zugleich auch die geschichtliche Dimension des Romans vermittelt. Es ist preußische Geschichte, wie es sich für diese ostelbische Landschaft »hart an der mecklenburgischen Grenze ' versteht, hohenzollernsche Geschichte an gleichwertiger Stelle, denn wie bei keinem anderen deutschen Territorium war Preußen das Geschöpf seiner Monarchen. Unter seinen Regenten werden die profiliertesten Preußenkönige ausdrücklich erwähnt, der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., genannt der Große - seit jüngstem, wie ich höre, wieder im Lande.
Fontanes Liebling, der Künstler auf dem Thron, Friedrich Wilhelm IV., fehlt hier nicht, an dem sich die Macht jenes chinesischen Fluches exemplifizierte, daß man in interessanten Zeiten leben möge. Zur preußischen Geschichte gehört selbstverständlich die lutherische Reformation, die an leitender Stelle auf der 2. Seite zusammen mit der für die Geschichte des norddeutschen Raumes so maßgeblichen Schwedenzeit genannt wird. Somit wird uns in groben Zügen das Wesentliche für diese historische Landschaft aus der frühen Neuzeit, d. h„ dem 16. bis 18. Jahrhundert, vermittelt. Die schon für Fontanes jüngere Zeitgenossen zu Geschichte gewordenen frühen und mittleren Jahre des 19. Jahrhunderts sind hier auf der ersten Romanseite in der Gestalt jenes von Heine »gallisch' genannten roten Hahnes gegenwärtig, jenes Symbol beider aus Frankreich übergreifenden deutschen Revolutionen, der von 1830 und der von 1848. Noch nicht genannt wird die sonst übliche Begleiterin des roten Hahnes in der Karikatur von Fontanes Jugendzeit, das Mädchen bzw. die Nixe mit der roten Mütze, Symbol der Freiheit und wohl des Umsturzes. Fontane, wie sein großer Zeitgenosse, Jakob Burckhardt und andere mehr, maß gerade der Revolution von 1830, die institutionell so herzlich wenig in Deutschland änderte, eine wichtige politische Bedeutung bei. Denn wie Marx, der um ein Jahr Ältere, wußte er vom Stellenwert einer Bewußtseinsänderung in der Geschichte der Menschen. Und die Herstellung einer politischen öffentlichen Meinung, gerade das, meinte Fontane, wie die ihm wenig ältere Generation der Jungdeutschen, habe die 1830er Revolution erwirkt.
Darauf wird wiederholt im Roman hingewiesen, so etwa verschlüsselt im 12. Kapitel mit dem Hinweis auf den Geburtstag des Grafen Barby im gleichen Jahr 1830. Fontane erwähnt diese Ereignisse auch an herausragender Stelle in seinen eigenen Erinnerungen in den »Kinderjahren".
Die strukturelle Bedeutung der Revolutionssymbolik im Roman gehört seit langem, vor allem seit der Arbeit von Hans Heinrich Reuter und Pierre Paul Sagave, zu einem der besten erforschten Themen. Die Revolution ist sozusagen allgegenwärtig, ob im unvergleichlichen Dialog zwischen Czako und Frau Gundermann über die Ratten in Paris, mit dessen Geheimbezügen zu Heines Gedicht »die Wanderratten' und zu der französischen Kommune von 1871 bis hin zu den Socken des Proletarierkindes Agnes oder der roten Krawatte des aufrührerischen jüdischen Arztes Moscheies oder Malerprofessor
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