Heft 
(1991) 52
Seite
125
Einzelbild herunterladen

Nebenfiguren im Roman nicht übersehen dürfen, und zwar als Vertreter und Zielscheiben von Spannungen in der zeitgenössischen deutschen Gesellschaft. Der soziale Aufstieg der ehemaligen jüdischen Trödler, die in einer späteren Generation am Jahrmarkt Textilien verkauften, und in einer weiteren Genera­tion zu Tuchhändlern und Geldverleihern wie Hirschfeld aufstiegen, wird durch den Hinweis im 11. Kapitel auf den Gersonschen Livreediener in einen Zusammenhang gebracht mit der Familiengeschichte der erfolgreichsten wil­helminischen Juden, darunter Bankier Bleichröder und der reichen Warenhaus­inhaber, Gerson und Wertheimer. Daß der nationalliberale Kandidat Katzen­stein Jude ist, läßt ihn, wie das Wahlgespräch zwischen Vater und Sohn Hirsch­feld auch nahelegt, zu jenen optimistischen emanzipierten und assimilations­freudigen jüdischen Bürgern der sogenannten liberalen Ära rechnen, deren Zu­kunft, wie die des Liberalismus als politisches Credo, im Kaiserreich mittler­weile fragwürdig geworden war.

Die Hartnäckigkeit, mit der der Sohn Hirschfeld, Isidor, (übrigens ein belieb­ter Name für einen Juden in der oft gehässigen Karikatur der Zeit) die eigene politische Meinung, seine Vorliebe für die Sozialdemokratie gegen seinen Va­ter verteidigt oder der Hinweis auf die Linksradikalisierung der Sozialauf­steiger wie Dr. Moscheles, suggeriert eine von Fontane erkannte politische Mobilisierung und Radikalisierung dieser sonst so assimilationsbedürftigen Schichten. Auch das ist ein Symptom des von unseren Historikern als typisch bezeichneten Ausdrucks des neuen politischen Stils der Zeit. » Alles Zeichen der Zeit ', würden Domina Adelheid oder auch Rex vom erzkonservativen Kultus­ministerium formulieren.

Daß der Jude und Vertreter des Nationalliberalismus alten Stils, Katzenstein, scheitert, ist, wie schon angedeutet, ebenfalls ein Teil des gleichen Prozesses, auch wenn Fontane ursprünglich den Nationalliberalen als Sieger aus der Wahlkampagne hervorgehen zu lassen beabsichtigte und nur aus persönlichen Gründen davon abkam. Katzenstein ist mit seinen Kollegen bei der Beerdi­gung Dubslavs »dabeigewesen' und gehört damit auch zu denen, die den alten nicht mehr erfolgreich durchzusetzenden Stil der Honoratiorenpolitik vertreten. Als letztes - damit soll nicht der ganze allusive Reichtum dieses knapp zehn­seitigen Kapitels erschöpft werden möchte ich den ThemenkomplexMo­derne Kommunikation' kurz erwähnen, der durch das Telegramm deutlich wird, und den Dubslav in den zwei folgenden Kapiteln unter Zuziehung von Tele­graphen-, Zeitungs- und Postwesen überhaupt ausdrücklich in einen Zusam­menhang mit dem Konservatismus auf der einen und mit der Weltrevolution auf der anderen Seite bringt. Fontane versteht, wie es die wiederholten Hin­weise auf die neuen Medien im Roman nahelegen, daß das Auftauchen neuer Medien unsere Wahrnehmung in ihrer Struktur ändert man denke an Dub­slavs hintersinnige Bemerkung im 26. Kapitel an Engelke: Ich weiß nicht, seit wir die Eisenbahnen haben, lauten die Pferde schlechter

Dubslavs Sensorium für die durch technische und gesellschaftliche Neuerungen hervorgebrachten »Ungleichzeitigkeiten', wobei Modernes und Überholtes ne­beneinander existieren, hat auch eine staatspolitische Dimension eine weitere

125