Heft 
(1991) 52
Seite
126
Einzelbild herunterladen

Infragestellung der Machtposition der Ostelbier im Kaiserreich. Und Fontanes Verständnis überhaupt für jene Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen, welche ein Kernstück des brisanten Gesprächs am Dinertisch und somit des Romans bildet, ist es, was ihn für anspruchsvolle Geister unserer Generation so inter­essant macht, wie Johnson oder Kluge.

In den unmittelbar darauf folgenden Kapiteln, die die Erscheinung der jungen Leute, des Sohnes Woldemar und seiner Regimentskameraden, das Diner im Schloß Stechlin und den anschließenden Besuch der Gegend zum Thema ha­ben, wird der Kreis allmählich ausgeweitet, wie ein Tropfen auf der Ober­fläche des stillen Stechlinsees Wellen schlägt. Mit der Rückkehr der jungen Leute nach Berlin, dem zweiten Schauplatz des Romans, seit zwanzig Jahren (und nun wieder) Hauptstadt des mächtigsten Staates auf dem europäischen Kontinent, werden wir mit Vertretern des internationalen Adels bekannt und weiter in Form von Repräsentanten ihrer Hausfreunde, Dienstboten, Zulie­ferer etc., d. h. mit einem ganzen Kreis Menschen vertraut gemacht, dessen politisches Verhalten durch die Epoche der Reichsgründung geprägt worden ist. War bisher, wie Conrad Wiedemann jüngst bemerkt, die deutsche Literatur eine Literatur ohne Metropol, so ist dies, wie der Romanschriftsteller Fontane vielleicht als einer der ersten signalisierte, seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts nicht mehr der Fall.

Nicht das ,W as' sondern das .W i e',.. Nicht die Anspielungen im Romantext auf die fontanesche Zeitgeschichte an und für sich, die Histori­ker etwa interessieren möchten, sind hier das Wesentliche, sondern, wie Bet­tina Plett und andere uns klargemacht haben, die Kunst der Allusion. Man kann mit Hilfe verschiedener erzähltechnischer Mittel an dieses Kunstwerk herangehen - Zitatkunst etwa, Symbolik inklusiv Zahlensymbolik, Chiffre, Anekdote u. a. Jede textgetreue Untersuchung aus einer besonderen Perspek­tive heraus kann uns den Roman in seinen .Tausend Finessen' erschließen, denn der ganze Text ist durchzogen von einem dichten Netzwerk von heim­lichen und beredten Bezügen, die uns die Menschen von damals in ihrem So­und Nichtanderssein erschließen. Die Bezüge geben sich zumeist rein zufällig, so etwa - als mein letztes Beispiel - die Allusionen auf .Fisch'. Man überliest leicht, wie ich es 20 Jahre lang sicherlich auch getan habe, die erste Erwähnung im Rahmen des schon gestreiften Gesprächs zwischen Vater und Sohn Hirsch­feld im 1. Kapitel. Hier wird auf die etwaige Besitznahme des stechlinschen Gutes durch die jüdischen Geldleiher angespielt, wenn Dubslav .kippt', wie Baruch sich ausdrückt, d. h. zahlungsunfähig wird:

»Und wenn er kippt, nu, da haben wir das Objekt: Mittelboden und Wald

und Jagd und viel Fischfang ...'

Ein Fisch aus diesem Fischreichtum, ein Karpfen, prangt auf Dubslavs Diner­tisch und erntet, von Mamsell zubereitet, reiches Lob. (3. Kapitel) Von der neuerlich belebten Fischnahrung ist dort auch die Rede in bezug auf die Ent­wicklung des Handels und seine wirtschaftspolitische Bedeutung.

126