Heft 
(1991) 52
Seite
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.Und da trag ich mich denn unwillkürlich', sagt Czako, .(denn Karpfen werden alt; daher beispielsweise die Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden Exemplar seiner Gattung wohl schon vor­beigegangen? Ich weiß nicht, ob ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf...'

Das Alter des Karpfens bezieht sich ohne weiteres auf das Thema »alt', und somit verweist er auf die Grundsymbolik des Werkes. Mit 150 Jahren, seinem ihm von Czako scherzweise zugemuteten Alter, ist dieser Karpfen gleich alt mit dem Regiment Friedrich des Großen, mit Brandenburg-Preußen in dessen neuerer, durch die friderizianischen Eroberungen erweiterten Gestalt als Groß­macht. Weitere Parallelen ergeben sich zwanglos zwischen dem Karpfen und der deutschen Bourgeoisie im 19. Jahrhundert und führen damit zum Motiv­komplex : Revolution, und zwar im Zusammenhang mit dem politischen Verhalten der deutschen Bürger in revolutionärer Zeit. Dubslav meint: »Wir verkriechen uns nämlich alle'. Damit, nebenher gesagt, wird eine Brücke ge­schlagen zu einem weiteren wichtigen Motiv des Romans, dem echten Hel­dentum. Hier wird das beliebte Motiv der Bürgertumskritik aus Fontanes Jugendzeit ins Bild gebracht: die Passivität und Schläfrigkeit gerade jener politischen Klasse, die in anderen europäischen Ländern im 19. Jahrhundert die politische Richtung ihrer Nation bestimmte.

Sind diese Anspielungen an erster Stelle historisch zu werten, im Sinn einer Vermittlung zwischen uns und den Menschen von damals, unseren politischen Vorfahren sozusagen, gehört hingegen das Motiv des Fisch-Weibs in den Mit­telpunkt des dichterischen Kunstwerks. Das ist Melusine, das die elementaren Kräfte am Stechliner See zu respektieren weiß. Sie ist in ihrem Offensein für das Neue, wie etwa das Verkehrswesen der Metropole, Vertreterin der Mo­derne und speziell jener neuen Frau, die uns überall in den Sparten der auf­geschlossenen deutschen Medien der 90er Jahre begegnet - Melusine, welche kürzlich und für mich im ganzen überzeugend von Paul Anderson, eine Idee unserer Ehrenpräsidentin Charlotte Jolles aufgreifend, in engere Beziehung zu der exemplarischen Figur der emanzipierten Frau jener Zeit, Lou Andreas- Salome, gestellt worden ist. Selten ist es Fontane so gut gelungen, das Ero­tische in den Romantext zu integrieren. Erkannt wird Melusines erotische Wirkung von Tante Adelheid, bei der die Sünden des Fleisches an erster Stelle zu rangieren pflegen, die Sünden gegen die Liebe hingegen viel weiter nach hinten rücken. Melusine gibt ihr insofern recht, indem sie sich selber im Ge­spräch mit dem Malprofessor Cujacius im 21. Kapitel zu einem Geschöpf Böck- linscher Bildkunst zu stilisieren versteht:

.Mir persönlich ist die Böcklinsche Meerfrau mit dem Fischleib lieber. Ich bin freilich Partei.'

Später soll sie sich jedoch wie ein Fisch im Wasser fühlen. Böcklin wie vorhin schon erwähnt, ist Maler und Popularisator des mehrfach von ihm gemal­ten Bildes der apokalyptischen Reiter. Gerade diese Stelle im Stechlinschen Manuskript ist mehrfach ausradiert und von Fontane überschrieben worden.

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