Heft 
(1992) 53
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uns noch sehr bang. Gestern kündigte man uns an, daß der Erzbischoff von Paris verhaftet, 23 die Klöster geplündert und das Blutgericht aufgerichtet wor­den. Bis jetzt sind wir darüber noch nicht ins Klare gekommen.

Diese Nachrichten gehen mir um so näher zum Herzen als ich aus Paris gebür­tig bin, und noch viele Bekannte und Freunde in dieser Hauptstadt zähle. Seit dem vorigen Jahre wo mein Bruder, der Admiral Mathieu, gestorben ist, haben die letzten Überlebenden meiner Familie die Stadt verlaßen, allein meine An­hänglichkeit an meine Geburtsstadt hörte damit nicht auf. Dort ruhen die Gebei­ne meiner Ahnen und meiner ehrwürdigen Tanten. Es war mir vergönnt die sterblichen Überreste meines seligen Bruders nach Besançon mitzubringen und sie denen einer vielgeliebten Schwester zu vereinigen, in der Kapelle von unsren Spital, wo ich jeden Monath die heilige Messe auf ihren Gräbern lese.

Mit betrübtem Herzen werfe ich die Augen auf Paris, wohin ich mich jährlich begab, um meine Seele in der Einsamkeit von St Sulpice 24 wieder zu stärken und mein Herz vor den Altären der Domkirche Notre Dame zu erquicken, wo ich ehemals, als Domherr und General-Vicar von S. Hochwürden von Quelen, seli­gen Andenkens, betete. Von da versah ich die Pfarrey von St Madeleine, 25 und nachher wurde ich Bischof von Langres dann Erzbischoff v. Besançon, auf das Wort des Papstes Grelgorius XVI, den ich zu Rom im Jahre 1843 gesehen hatte und der mir sehr freundlich und väterlich begegnete.

Oft begab ich mich nach Paris für die Sitzungen des Senats deßen Glied ich, als Kardinal, war = und so wie ich, mit der Gnade Gottes, niemals mein Herz an irdischen Ehren hängen ließ, ebenso konnte ich nie mit gleichgültigen Augen das Unglück des Fürsten sehen, von dem ich diese Ehren empfangen hatte. Ich hielt gegen ihn eine unverletztliche Treue, als eine aus meinen Eide entstehende Pflicht, und deßen ungeachtet hielt er mich für einen Gegner, weil ich frey und unabhängig in meinen Meinungen bleiben wollte, und mich verweigerte, schlechte oder ungerechte Maßregeln durch mein Votum zu bestätigen. Da jetzt mein potitisches Leben ein Ende nimmt, beschränke ich mich in's Bereich mei­ner geistlichen Funktionen 26 , die mir groß und wichtig genug Vorkommen; und mich derselben gebürlich zu entledigen ist ferner meine einzige Sorge.

Ich statte Ihnen meinen besten Dank ab, für die an mich gesandten Photogra­phien. Es sind zwey liebe Erinnerungszeichen, welche ich an die Wand meines Ruhezimmers hängen werde, denn nichts kann so sehr das Herz erquicken, als der Anblick der wahren Freunde, welche mit uns durch Gott für Gott, und in Gott verbunden sind.

Genehmigen Sie gnädigst geehrtester Herr, den Ausdruck meiner ausgezeichne­ten Gefühle, und bezeugen Sie gütigst Madame Fontane meine Ehrerbietung.

Ihr ergebenster u. gehorsamster

Diener

Cesaire, Erzb. von Besançon. 27

Anmerkungen

1 Für ihre Hilfe bei der Entzifferung der Manuskripte bin ich Friderun Bradley, Gotthard Erler und Anthony Phelan sehr dankbar.

2 Rene Cheval, Fontane und der französische Kardinal. Ein neuentdeckter Briefwechsel (1870-75) mit Cesaire Mathieu, Erzbischof von Besançon, Jahrbuch der deutschen Schill­ergesellschaft, XXVII (1983), 19-58.

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