Heft 
(1992) 53
Seite
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zu erweitern. Ein Verlegerwechsel nach Berlin sollte die redaktionellen und tech­nischen Probleme entschärfen. Deswegen war Eggers einige Zeit zuvor sogar beim Kultusminister von Raumer, Kuglers Dienstherrn, vorstellig geworden: damals ohne Erfolg. Er "habe aus dessen hohem Munde leider das Urtheil und die Erklärung entgegen nehmen müssen, daß ich und mein Blatt sehr mißliebige Creaturen seien. Weißt Du", hatte Eggers seinem Vater resümiert, "bei den Kauf­leuten heißt gut = reich schlecht = arm so heißt bei ihm (dem Minister - R.B.) gut = pietistisch und reactionnaire, schlecht = wahrhaft fromm u liberal." 24 Heinrich Schindler, der gewünschte Verleger, hatte nun, gerade als Storm angekommen war, Eggers 800 Rth. angeboten und angedeutet, das Blatt zu übernehmen. Da­mit zeichnete sich die angestrebte Zentrierung auf Berlin ab.

Wie sehr sich das Rütli der ökonomischen Seite seiner Pläne bewußt war, zeigen die detaillierten Beobachtungen des literarischen Marktes, die beispielsweise Kugler anstellte. Das Ergebnis dieser Recherchen wurde Clara Kugler ebenso detailliert mitgeteilt, mochte ihr Interesse daran auch noch so gering sein. "Vom Buchhändler empfange ich eben ein Familienbuchheft (vom Lloyd), worin Paul's Marion (ein frühes Prosastück von P. Heyse - R.B.) steht; auch zur Ansicht einen von Hering (d.i. Willibald Alexis) herausgegebenen Volkskalender auf 1854, mit Novellen, Gedichten und allen möglichen Namen. Es regt sich wieder alles mögliche Literarische. Unter Kleins Redaction erscheint hier seit kurzem ein Journal, Phoenix, das Novellen und ebenfalls alles Mögliche (außer Politik u drgl.) bringt." 25 Kugler erwähnte auch das in Aussicht stehende Literaturblatt, um daran die besorgte Bemerkung zu knüpfen: "Auf die Physiognomie unserer Argo zwischen all diesem Uebrigen bin ich in der That gespannt." 26 Seit Anfang der fünfziger Jahre hatte Storm das gebildete Lesepublikum gesucht und sich "in die Literaturverhältnisse hinein"-geschrieben. 27 Seine Korrespon­denzen mit gewichtigen Exponenten des zeitgenössischen literarischen Lebens wie etwa Karl Goedeke oder Robert E. Prutz waren eröffnet. Sein Blick für den Stellenwert derartiger Verbindungen war geschärft. So konnte er als Neuling im Rütli auch gleich seine "Konnektionen", wie man dort gern umschrieb, einbrin- gen. Die beruhigende Wirkung diesbezüglicher Gespräche, die ja das schriftstel­lerische Aufgehobensein implizierten oder zumindest förderten, mußte Storm mit Dankbarkeit empfinden.

Gleichzeitig durfte er sich Unterstützung in der juristischen Anstellungsfrage versprechen. Dafür standen einzelne Mitglieder des Rütli. Bei aller politischen Skepsis registrierte Storm mit Befriedigung, wie z.T. unvermittelt und durch Verwandtschaft gestützt die Wege des Rütli zu ministeriellen Einrichtungen und Persönlichkeiten führten. Nicht ganz sicher ist, wie weit er über die jeweils konkreten Bindungen der Rütli-Mitglieder im preußischen Staat informiert war. Wußte er, daß Fontane - trotz gesundheitlicher Unterbrechungen - für die Cen­tralstelle für Preßangelegenheiten gearbeitet hatte und mit dem Referieren wich­tiger Presseerzeugnisse für preußische Interessen beauftragt gewesen und nur durch einen Wechsel in der Leitung der Centralstelle zum Pausieren genötigt war? 28 Sah er in Wilhelm von Merckel, der sich bald für ihn verwenden sollte, den ehemaligen und über seinen Rücktritt weit hinaus Einfluß nehmenden Lei­ter des ehemaligen Literarischen Cabinetts, einer Manteuffelschen Einrichtung? Ahnte er, daß Karl Bormann, seit 1849 Provinzial-Schulrat in Berlin, Prinzen und Prinzessinnen des königlichen Hauses unterrichtete und, was von Gewicht war, aktiv in der preußischen Schulpolitik wirkte, wo man bis zum Minister hinauf auf sein Wort hörte? 29