Geahnt wird Storm es haben. Wie ihm die Eleganz der Wohnung Bormanns auffällig war 30 , so werden ihm andere Anzeichen sozialen und politischen Prestiges im werdenden Freundeskreis nicht entgangen sein. Dem Verständnis Storms von der eigenen sozialen, aber auch persönlichen Rangordnung entsprach dieser reputable Charakter durchaus. Zufrieden konnte Storm uneingeschränkt mit dem Gast-Alltag sein, der ihm von Kugler eingerichtet wurde. Die hohe Kultur der hier gepflegten Geselligkeit erfüllte den Anspruch, den Storm an sie stellte. "Wir waren heiter beisammen", heißt es in Kuglers Brief an seine Frau vom 9. September, "und (Hermann) Weiß beim Thee in bester Laune, was Storm sehr gefiel." 31 Immer wieder berichtete Kugler von Begegnungen bei Tee oder einem guten Glas Markobrunnen.
Eher heiter war man auch am Vortag beim ersten gemeinsamen Rütli-Treff gewesen. Fontane hatte sein Argo-Lied vorgetragen, in dessen Refrain "Hurra, hurra, hurra/ O ’Argo', deine Bugspriet ist nah" 32 Storm bald eingestimmt haben mochte. Wichtiger mußten ihm freilich die "Spezial-Conferenzen" mit Wilhelm von Merckel, "der für dessen (Storms - R.B.) Angelegenheiten zu Rathe gezogen wurde" 33 , gewesen sein. Es spricht für die allgemeine Zufriedenheit, daß der Abend mit Musik ausgeklungen war. Man habe "noch ein Paar Hefte von meinen Liedern durch/gesungen/, die ich Storm verehrt habe, die ihm zu gefallen scheinen und über die er schreiben wird". 34
Auseinandergegangen war man mit der Verabredung für den nächsten Rütli gleich am darauffolgenden Sonnabend - und damit hatte man sich in den gewohnten Rhythmus der regelmäßigen Sitzungen wieder eingetaktet. Adolf Menzel, auf dessen versprochenes Titelbild für das Jahrbuch man sich (noch) freute, und Storm wurden nunmehr als gültige Rütlionen der "Sozietät" aufgenommen, "so daß wir die Musenzahl herausbringen" 35 , wie Fontane befriedigt feststellte.
Daß Kuglers Zwischenbilanz nach der ersten gemeinsamen Woche mit Storm positiv ausfiel, wundert nicht. Zu der Erleichterung, keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten mit dem neuen Hausgenossen zu haben, gesellen sich nur wenige kritische Anmerkungen. Sie galten Storms Urteilsentschiedenheit in poetischen Fragen. "Storm lebt in seiner stillen sanften Weise hin, die ihn doch nicht hindert, im dichterischen Urtheil ziemlich exclusiv zu sein, das Gewicht der Dinge etwas einseitig nach seiner Gefühlsstimmung abzumessen und den Rang seiner eigenen Leistungen gelegentlich etwas hoch anzuschlagen." Da gehe er, Kugler, nicht immer mit. "Wir scheinen überhaupt wohl ziemlich heterogene Naturen zu sein, wobei aber nicht ausgeschlossen ist, daß mir sein Besuch nicht durchaus erfreulich sein sollte." 36 Die letzte Bemerkung wollte gewiß einer möglichen Beunruhigung seiner Frau entgegenwirken, die aus der Andeutung zuvor unliebsame Störungen des für ihren Mann gewünschten häuslichen Friedens herauslesen mochte.
Noch nicht 14 Tage waren vergangen, als es sich abzeichnete, daß Storms Berlin- Aufenthalt eventuell länger als erwartet dauern würde. Ihn selbst dürfte diese Entwicklung nicht überrascht haben, hatte das preußische Justizministerium doch bereits Anfang März bei ihm angefragt, ob er zur Erwerbung der erforderlichen neuen Rechtskenntnisse zu einem 6-monatigen Volontariat - das hieß ohne jede Bezahlung - an einem preußischen Kreisgericht bereit sei. 37 Möglicherweise hatte Storm den Berlinern nicht in der Deutlichkeit angekündigt, daß der Bruch mit seiner Heimat 38 zu diesen Konsequenzen führen könnte. Indes schien es Kugler, trotz einer gewissen Überraschtheit, eine durchaus angenehme Vor-
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