Heft 
(1992) 53
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Stellung, die Familie Storm in den engeren Familienverkehr einzubeziehen. Die­se Aussicht ermunterte ihn, seiner Frau noch einmal ein briefliches Portrait des Husumer Dichters zu skizzieren. "Sein Wesen stellt sich bei längerem Umgänge immer mehr in der guten, edeln, feinfühlenden Weise heraus, wie es sich gleich bei der ersten Bekanntschaft gezeigt hatte", hob Kugler am 12. September her­vor, "sein ganzes Naturell ist in hohem Grade ein fein lyrisches, dem unser Eins freilich gern einen etwas compacteren Stoff wünschen möchte." 39 Die nachsichtige Freundlichkeit, die an diesem Tage Kugler die Feder führte, mag mit dem Lob Zusammenhängen, das Storm über Kuglers Poesie ausgespro­chen hatte. " Ich muß ihm besonders dafür sehr dankbar sein", heißt es nämlich im selben Brief, "daß er sich für meine Lieder lebhaft begeistert". Storm habe sogar "bereits eine ausführliche Anzeige geschrieben." 40

Mit der Ankunft Theodor Storms und dem Vorantreiben der Publikationsprojek­te änderte sich die Qualität und der Grad der Sozialisation im Rütli. Seinen Niederschlag fand das in den Verkehrsformen, die man pflegte. Die Ernsthaftig­keit der Unternehmungen erschloß produktive Räume nun auch außerhalb der Vereinigung. Die "literarischen Freunde", von denen Kugler üblicherweise sprach, begannen tatsächliche Freunde zu werden, mit denen der gesellschaftli­che Verkehr erwogen wurde. Gesellschaftlicher Verkehr: das bedeutete partielle soziale wie persönliche Gleichstellung, die Kugler ansonsten höchst selten kon­statierte. 41 Konzeptdiskussion und Versuntersuchungen gingen immer häufiger einher mit Diner, gemeinsamem Gesang und Musizieren. Musische Kreativität prägte diesen Alltag, in dem nach und nach auch die anderen Familienmitglie­der einen eigenwertigen Platz erhielten. Dieses Klima begünstigte Storms dich­terische Arbeit, so daß Kugler nach Dürkheim melden konnte: "Storm hat hier u. A. schon einige hübsche lyrische Verse geschrieben" 42 , die umgehend vorgele­sen und beredet wurden. Höhepunkt dieser Tage, ganz im Zeichen schönster Gemeinschaft, wurde die Feier zu Storms Geburtstag am 14. September. 43 Auf dem Gabentisch präsentierte sich das Rütli literarisch in einer Art poetischen Selbstportraits. Die verantwortlichen Redakteure des Jahrbuches "Argo", Theo­dor Fontane und Franz Kugler, hatten einen guten Teil der gedruckten Texte der Rütlionen zusammengetragen, um damit Storm eine Freude zu bereiten.

Paul Heyse war vertreten mit seiner Verserzählung "Die Brüder", die von Fon­tane als "ein Vollendetes" bezeichnet wurde 44 , Bernhard von Lepel mit der frühen Gedichtsammlung "Lieder aus Rom" und Fontane mit seinen Romanzen Von der schönen Rosamunde, die 1853 eine zweite Auflage erfahren hatten, was für den Erfolg beim lesenden Publikum sprach. Kugler legte sein Trauerspiel "Ja- cobäa" hinzu, und am Nachmittag überreichte Karl Bormann eins seiner Bücher, wahrscheinlich "Die Tage des Herrn", das 1852 erschienen war.

Fontanes Engagement bei der Ausgestaltung des Stormschen Festtages fällt auf. Er hatte auf Anfrage Kuglers, ob er "eine brauchbare und nützliche Idee" "zum Geburtstag unseres Husumer Poeten" 45 habe, erstaunlich bereitwillig reagiert. Leichter Hand wohl verfaßte er den Toast "An Theodor Storm zum 14. Septem­ber 1853" und zwei Vierzeiler, die Lepels und sein Präsent begleiteten. Zusätzli­che Freude stiftete Kugler mit einem Heft Lieder von Gotthard Wöhler, dessen Vertonungen von Gedichten Geibels, Heines und Eichendorffs Storm noch nicht kannte und bei dieser Gelegenheit für sich entdecken konnte. 46

Über dem Einleben Storms in Berlin kamen die Arbeiten an der "Argo" zu

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