Heft 
(1992) 53
Seite
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ihm hieß - durch die Zeitung. Daß Bismarcks Reden Fontane so tief bewegen konnten, zuweilen bis zu Tränen, wurde von seinen Angehörigen hinlänglich bezeugt, wie auch, im schlichten Wort Metes, wie Bismarcks Tod, knapp zwei Monate vor dem eigenen, ihn erschüttert hat: "Papa sitzt und weint". 6

Die Briefstellen - an so verschiedene Adressaten wie Philipp von Eulenburg, August von Heyden, die Tochter Mete, Guido Weiß, Georg Friedländer, Maxi­milian Harden, Gustav Keyßner -, wo von Bismarck ausführlich die Rede ist, gehören zum Aussagekräftigsten, zum Farbigsten, was Fontane überhaupt über einen Zeitgenossen geschrieben hat. Sie sind überaus bekannt, doch muß man sie in einem Kontext wie dem jetzigen wieder einmal zitieren, denn neben ihrer Aussagekraft für Fontanes Biographie machen sie uns auf eine wichtige Geistes­verwandtschaft beider fast gleichaltrigen Zeitgenossen aufmerksam: die Bild­lichkeit ihrer Sprache. Daß Fontane bis etwa ein halbes Jahrzehnt vor seinem Tod im Bann des Menschen der historischen Erscheinung des "Genies, Staatsret­ters und sentimentalen Hochverräthers" 7 blieb, "dieser Mischung von Uebermensch und Schlauberger, von Staatengründer und Pferdestall-Steuerverweigerer,... von Heros und Heulhuber, der nie ein Wässerchen getrübt hat"8 das ist sicherlich nicht im geringen Maße der bismarckschen Sprachkunst zu verdanken, der lutherischen Direktheit und Ursprünglichkeit seiner Bilder und der von uns Heutigen zu wenig beachteten hohen Kunst der pathetischen Rede. Von den "Bismarckschen Sentenzen" spricht er gegenüber Clara Stockhausen am 27. Dezember 1878, 9 als von einem Text von Weltrang, kurz bevor er sich auf das merkwürdig unfonta- nesche, wenn auch sehr gut bezahlte Auftragswerk einer Bismarckbiographie in der Serie: Vaterländische Reiterbilder aus drei Jahrhunderten einließ, über die jüngst Fritz Gebauer aufschlußreich berichtet hat und die jetzt auch in dem von Gotthard Erler besorgten sechsten Band der Wanderungen zugänglich sind. 10 An Paul Heyse heißt es in einem jener ausdruckskräftigen 'Nachgeburtstagsbriefe': "Er ist der glänzendste Bildersprecher und hat selbst vor Shakespeare die Einfachheit und vollkommenste Anschaulichkeit voraus"1 1

Beide, Fontane und Bismarck, sind große, von der Nachwelt gebührend ge­schätzte Briefschreiber, wenn auch Fontanes Lehrzeit eine längere war und ihm der Altere in manchem als Vorbild diente. Wie jeder Zeitgenosse kannte Fontane die Briefe Bismarcks, vor allem jene an seine Braut, die ihren festen Platz im deutschen Anthologiewesen des 19. Jahrhunderts hatten. Für ihn sind die Briefe Bismarcks schlichtweg " wundervoll". Auch im Künstlerischen holte er sich zu­weilen bei ihm Rat, wie in der Buchrezension aus dem Jahr 1883: " Bismarck, in einem seiner wundervollen Briefe an Frau oder Schwester, hat sich mal treffend ... geäußert. 'Jede Landschaft (so ungefähr schrieb er) hat einen Punkt, auf den es ankommt. Den muß man geben, aber auch nur ihn. Oder wenigstens nicht viel daneben. Trifft man diesen Punkt richtig, so gestaltet sich das Gesamtbild von diesem Punkt aus wie von selbst'"1 2

Dem so verfänglichen Thema: Fontane und Bismarck neue Aspekte abzu­gewinnen, ist heute nicht leicht. Dieses Feld ist besonders sorgfältig beackert worden. Denn wenn die Zeitgenossen unter dem Schatten des Halbsachsen Bismarck standen - die Mutter war ja bekanntlich eine Mencken aus Leipzig - so steht jeder, der zum Gegenstand sprechen möchte, unter dem Schatten des Voll­sachsen Walter Müller-Seidel. Schon vor 35 Jahren anläßlich einer historischen, nicht zu sagen notorischen Tagung des Deutschen Germanistenverbands hat

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