Heft 
(1992) 53
Seite
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sei. Das ' Revolutionäre ' gehöre nach Fontane zur Wesenseigenschaft Bismarcks; hier wird der Blickwinkel jener bismarckschen Standesgenossen vermittelt, die ihn als Revolutionär und darum Verräter an seiner eigenen Kaste ansehen.

Es geht Fontane darum, wie hier an einigen wenigen Beispielen zu zeigen ist, das Wesen und Wirken Bismarcks in seiner Zeit möglichst differenziert nachzu­zeichnen. Hierzu bietet Stine zunächst eine Stimme 'aus dem Volk'. Man erinne­re sich an die Straßenszene im dritten Kapitel, wo die kleine Olga die Stunde ohne mütterliche Kontrolle genießerisch verbringt und sich auf eine Steintreppe in der Chausseestraße setzt, um mit anderen aus der Nachbarschaft einen öffent­lichen Leichenzug zu begaffen. Wer dort zu Grabe getragen werde, diese Frage erregte gerade die dort angesammelten Geister:

"Einer versicherte, daß es ein alter Mauerpolier, ein anderer, daß es ein reicher Ratszim­mermeister sei, während eine mit braunem Torfstaub ganz überdeckte Frau (...) von nichts Geringerem als von einem Minister für Maurer- und Zimmerleute wissen woll­te. 'Dummes Zeug, unterbrach sie der nebenan wohnende Budiker, 'so was gibt es ja gar nich'. Aber das Torfweib ließ sich nicht stören und sagte nur: 'Warum nich, warum soll es so was nich geben?'"(185)

Der Gesprächsfetzen ist freilich nicht ohne Ironie. Es hat nicht nur kein Ministe­rium für Maurer- und Zimmerleute im Deutschen Reich gegeben: es hat über­haupt keine Reichsministerien gegeben, - der Reichskanzler hatte die Bildung von Reichsministerien bewußt hintertrieben, denn diese hätten ein ihm uner­wünschtes Gegengewicht zu seinem persönlichen Regiment geboten. Aber das Zutrauen des kleinen Mannes - oder der kleinen Frau - aus dem Volk, speziell aus den Kreisen der Kleingewerbetreibenden, wurde dadurch keineswegs er­schüttert; im Gegenteil, so lange es einem persönlich gut ging und man noch das Gefühl hatte, "dabeizusein".

"Daß man mitzählt". So formuliert es in einem anderen fontaneschen Roman ein Bismarck im kleinen, auch er " ein Mann in Amt und Dienst" (300) - Förster Opitz in Quitt. Auch für ihn steht der Reichskanzler als Garant für seine Machtstel­lung im Kreis, die er wie viele seinesgleichen mit der 'Ordnung' identifiziert: "hier ist es am besten, hier, weil wir Ordnung haben und einen König und eine Armee und Bismarcken". (300) Opitz'- und Trinkgelüste verbinden ihn eben­falls mit dem Reichskanzler sowie auch die unattraktive Mischung in beider Charakter von Herrschsucht und Sentimentalität, welche die autoritäre Persön­lichkeit kennzeichnet. An Lehnert, der nicht klein beigibt, übt er seine erpresse­rische Macht aus, ebenfalls am viel zaghafteren Lehrer Wonneberger, den er sich mit einer Mischung von Drohung und schönen Worten zum Instrument seiner Verfolgung des vermeintlichen Rivalen gefügig macht: "Der Liegnitzer Schulrat paßt auf. (...) Immer aufpassen und nie vergessen, daß man Vorgesetzte hat und daß man dem Staat dient und daß man mitzählt. (293)

Das schon erwähnte Urteil über Bismarcks Wirken auf die Staatsträger des Deut­schen Reiches im Brief an Philipp von Eulenburg (Anm. 21) begegnet uns also wieder in Quitt, aber auch in dem mit ganz leichter Hand erzählten Fall des Hofrats Gottgetreu in der kleinen Schrift: Nach der Sommerfrische. Gottgetreu, der den sinnigen Namen Hermann trägt, also ein Deutscher ist, muß im eheli­chen Kleinkrieg das letzte Restchen Selbständigkeit einbüßen. Daß alles so scherzhaft abläuft, ist aufschlußreich. Gottgetreus Irrtum war es, eine eigene

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