Heft 
(1992) 53
Seite
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lich auch mit Woldemars Brautwahl zu lesen. Die Stelle, wo von Bismarcks "Götzenallüren" die Rede ist: im ersten Kapitel, wo Dubslav sich gegen das Ansinnen wehrt, für seinen vermeintlichen Bismarckkopf sich beim lieben Gott oder bei Bismarck selber bedanken zu müssen, erinnert an den Wortlaut des Friedlaenderbriefs: "Man hat das Gefühl, er glaubt sich, gottgleich, alles erlauben zu dürfen" 30 und thematisiert den unersättlichen Machthunger Bismarcks. Beide Motive, Frondeurtum und Machthunger, verbinden das Gespräch Dubslavs mit Barby nach der Hochzeit über "unsren Zivil-Wallenstein" (327) mit den Bismarck als " Halbjunker " verspottenden, ihm ob Verlust ihrer Rechtsprivilegien grollen­den Landjunkern in den Wahlkapiteln."Je größer der Mann, je größer das Irrtum schrieb Fontane in scherzhaftem Bezug auf Bismarck in Nante Strümp als Erzie­her, seiner witzigen, im Geist Adolf Glassbrenners konzipierten Gegenschrift zum rassistischen Rembrandt als Erzieher von Langbehn. 31 Und schließlich wird in der scheinbar lässigen Art des Werks an zwei Schlüssel­stellen des Romans, im Gespräch Lorenzens mit Melusine im 29. und mit Dubs­lav im 41. Kapitel, der Versuch einer historischen Einordnung Bismarcks aus deutscher und zugleich europäischer Sicht gemacht; in beiden Fällen geschieht es durch Hauptfiguren im Roman, die, wenn sie nicht für den Autor sprechen, doch sozusagen profilierte Meinungen zum Thema bringen. Im ersten Fall neh­men Watt und Siemens den Platz ein, den vormals die 'mythischen' Helden der Deutschen eingenommen hatten, darunter freilich Bismarck. Lorenzen meint: "... Erfinder und Entdecker, und James Watt und Siemens bedeuten uns mehr als du Guesc- lin und Bayard. Das Heldische hat nicht direkt abgewirtschaftet..., aber sein Kurs hat nun mal seine besondere Höhe verloren". (290f) Im anderen Fall wird Bismarck in einen weit gespannten historischen Kontext eingereiht. Hier in einer seinen Re­departner - und wohl die Leser - provozierenden Weise, läßt Dubslav Bismarck vor allem als den " Revolutionär " erscheinen, als den ihn Fontane ursprünglich gesehen hat. Hier aber, anders als in der 1849er Schrift, revolutionär im Sinne jener Figuren, die die Denkart und das Verhalten ihrer Mitmenschen geändert hätten: Mit Mazzini und Garibaldi, Marx und Lassalle, Bebel und Liebknecht. (393) 32

"Am Anfang", so heißt der erste Satz in Thomas Nipperdeys Geschichte Deutsch­lands im 19. Jahrhundert, "war Napoleon" 33 , am Schluß, so konnte man meinen, war - immer noch - Bismarck. Bismarcks Amtszeit währte länger als eine Gene­ration ohne Unterbrechung, in diesem nur noch mit Metternich zu vergleichen, dessen Regiment aber in viel weniger turbulente Zeiten fiel. So muß man nicht Treitschkes Geschichtskonzept unterlegen, um behaupten zu können, daß Bis­marck seine Zeit und die historische Einbildungskraft seiner Zeitgenossen be­herrschte. Fontane wich jedoch von seinen Zeitgenossen darin ab, daß er sich im Alter von dem 'Mythos Bismarck' freizumachen vermocht hat, wohl aber dabei die prägende Kraft der Erscheinung für das deutsche Volk verstand und im Erzählwerk, im Brief und in autobiographischen und Gelegenheitsarbeiten ge­staltete.

Anmerkungen

Zahlenangaben im lfd. Text beziehen sich auf die Ausgabe der Romane u. Erzählg. des Aufbau-Verlages

1 Nymphenburger Fontane-Ausgabe (=NyA). Bd. 21.2 (1974), S. 467.

2 "Wer ist der größte Staatsmann des Jahrhunderts?" In: Die Bilanz des Jahrhunderts.

Berliner Illustrirte Zeitung. 5. März 1899. Nr. 62, S. 48.

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