Vergleichsgrößen, die Jensen zitiert, sind Albrecht von Wallenstein und, um das Blitzbild sinnfällig auszunutzen, Jupiter. Wie nah der Jupiter/Zeus-Vergleich damals lag, beweist nicht zuletzt Fontanes Bismarck-Gedicht 'Zeus in Mission', das Ende Januar 1885 in kürzester Zeit entstanden war. 25 Jensen schlägt einen Festlied-Tonfall an, der in einer Gratulations- und Gute-Wünsche-Strophe gipfelte. Sich der Gattung Festlied zu bedienen, war keineswegs originell, hatte sie sich doch bei den unzähligen öffentlichen Feierveranstaltungen ihren festen "Sitz im Leben" erworben.
Die nächste poetische Wortmeldung hatte ihren besonderen Reiz. Angetreten, um Bismarck sein Lied zu singen, war Emst von Wildenbruch, seit 1877 als Hilfsarbeiter im Auswärtigen Amt tätig, also direkt "unter Bismarck" 26 . Mit seinen literarischen Arbeiten, u.a. der auch von Fontane besprochenen Dichtung "Vionville" 27 , hatte er für sich Aufmerksamkeit am königlich-kaiserlichen Hof erwirkt. Obwohl er mit Begleittexten für lebende Bilder bei Hoffestlichkeiten den guten Kontakt zur kaiserlichen Macht hielt und seine "Karolinger" höchste Anerkennung fanden, wurde Wildenbruch in der Wilhelmstraße keine "persona grata". 28
Als Wildenbruch dann, neben den Querelen um sein die Zeit 1806 behandelndes Stück "Väter und Söhne", kleinere Arbeiten im Berliner Tageblatt veröffentlichte, kam es zum Eklat. "Der Reichskanzler selbst hatte sich im höchsten Grade erzürnt, daß ein Beamter seines Ressorts sich nicht gescheut habe, öffentlich als Mitarbeiter an einer ihn und seine Politik auf Schritt und Tritt befehdenden Zeitung aufzutreten." 29 Nachdem sich Bismarck einen Eindruck über Wildenbruchs "vaterländische" Absichten 30 verschafft hatte, ließ er ihn gewähren, obschon ihm ein Schriftsteller im Amt problematisch blieb. Wildenbruch allerdings sollte sich der Konzilianz seines Vorgesetzten würdig erweisen. Bestätigt durch den Grillparzer- und den Schiller-Preis (1883 u. 1884), sah er seine Stunde als Staats- und Kanzlerdichter gekommen, als er Bismarcks Rede vom 12. März 1885 las. "Als ich neulich die wundergewaltige Rede Bismarcks las", schrieb er einem Freund am 15. März, "da überkam mich das Gefühl, daß jede Stunde verloren ist, in der man nicht mit allen Kräften der Seele an dem großen Werke dieses großen Mannes mittut, in der man nicht für das Vaterland kämpft und schafft und dichtet. Das war der Ton, der mich vor zehn Jahren in der einsamen Stube zu Frankfurt begeisterte, das ist er noch heute, das soll er bleiben, das schwöre und gelobe ich Ihnen". 31 Zur Rede Bismarcks später.
In seinem "Jung-Bismarck"-Gedicht nutzt Wildenbruch den leichten Gang der Volksliedstrophe und ist um einen freundlich-unangestrengten Ton bemüht. Nach umständlicher Einführung der Bildnisse des alten und jungen Bismarcks, die aufeinander bezogen werden, porträtiert er den Besungenen als Kind des "Brandenburger Land(es)", das ihn "bang und bebend/ In Deutschlands Mutterhand" legt. 32 Und Deutschland erkennt im Kind den Gott gesegneten Sohn:
Ich seh' auf seiner Stirne
Ein Wort und noch ein Wort:
Heißt "Landes-Mehrer" eines,
Das andre "Landeshort". 33
Auf arglos-schlaffe Weise vermischt Wildenbruch nationale Metaphorik mit ihrer Vorliebe von Baum, Erde und Adler mit christlicher Heilsbotschaft. Ohne es so auszusprechen, wird das deutsche Volk das auserwählte und Bismarck der
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