Heft 
(1992) 53
Seite
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ihm nicht eine Entwicklung abverlangte. "Verjüngung" und "Jungbleiben" wer­den gegenüber der poetischen Sinngebung Mitte der dreißiger Jahre 53 ihres op­positionellen Charakters enthoben und dem zugeschrieben, der 1835 nicht in die Opposition, sondern in den Staatsdienst eingetreten war. 1835 - das Jahr, in dem das Junge Deutschland verboten wurde.

Mit dem Kunstgriff, seinen unverwechselbaren poetischen Tonfall aus dem Vor­märz zu zitieren und ihn gleichsam als lebensfähig zu handhaben, wenn nur die Persönlichkeit des zu Besingenden es erlaubt, zeichnet Fontane in Jung-Bismarcks politisch-vaterländischem Kontinuum das eigene literarische ein. Die Poeten­biographie im Vers spiegelt sich in der Biographie des Staatsmannes, dessen zeitlose Jugend zur historischen Metapher wird.

Kommen wir zu Lindau, dem Herausgeber. In Kenntnis seiner Praktiken be­zweifele ich in diesem Fall das Unlautere, das ihm Fontane mit dem Vorwurf eines heimlich angezettelten Sängerkrieges unterstellte. 54 Der fiel ab bei Lindaus Bestreben, mit dem gesamten Bismarck-Heft Wirkung zu erzielen. Mag die Be­hauptung, Lindau habe seine Zeitschriften, hatten sie erst einmal Erfolg, nach­lässig redigiert, im allgemeinen stimmen: für die Bismarck-Nummern von "Nord und Süd" und der "Gegenwart" trifft sie nicht zu.

Die Auswahl der Autoren zeigt einen wachen Herausgeber, der sowohl den literarischen Trend im Auge als das literaturgeschichtlich Sichere im Bewußtsein hatte. Ganz im programmatischen Konzept der Monatsschrift gewann er Schrift­steller aus Nord- und Süddeutschland sowie aus der östlich gelegenen Provinz. Aus dem süddeutschen Raum gab er Autoren den Vorzug, die vom Norden dorthin gewechselt und z.T. erst nach 1866 Bismarckianer geworden waren. Glücklich auch die Mischung der poetischen Stimmen und der jeweils favori­sierten lyrischen Gattungen. Was Fontane mit seinem jung-Bismarck -Gedicht ein­löste, lag offensichtlich auch im Sinn Lindaus. Seine Leserschaft rekrutierte sich aus einem eher liberalen, "freisinnig" orientierten Bürgertum, dessen politische Auffassungen links von denen Bismarcks lagen. Der Verdacht, daß Lindau auf deren Bismarck-Bild Einfluß nehmen wollte, läßt sich nicht von der Hand wei­sen. Rolf Parr hat ermittelt, "wie der bis zu Beginn der 80er Jahre vorwiegend unter der Perspektive des 'Realpolitikers' konstituierte Bismarck-Mythos in den 80er und 90er Jahren auf eine Position zwischen 'Realismus' und 'Idealismus' verschoben wird". 55 Lindau lag mit seiner herausgeberischen Strategie ganz auf dieser Linie. Neben den Gedienten, bei denen Momente der Mythentransforma­tion aus dem hier Zitierten kenntlich werden, nahm er im "Nord und Süd"-Heft einen umfangreichen Bismarck-Aufsatz unter dem Titel "1815. - 1835. - 1885." (anonym, gezeichnet mit drei Sternchen) auf, der Personal- als Nationalgeschich­te schreibt. In ihm wird der wechselvolle realpolitische Kurs Bismarcks unter dem Ideal übergeordneter "vaterländischer" Ideen 56 , die Jugend und Alter be­quem vereinen lassen, interpretiert. Gleichzeitig wird, was wichtig ist, dem po­litisch umstrittenen Neuansatz Bismarcks im Jahre 1885 mit dessen biographi­scher Verklärung eine Weihe verliehen, die ihn aus der parlamentarischen De­batte genommen sehen will. In diese Kerbe schlug auch ein Interview, das unter dem Titel "Beim Reichskanzler zu Gast" in derselben Nummer veröffentlicht wurde. 57

Mit dieser Argumentation bewegte sich der Verfasser (und mithin wohl auch der Herausgeber) ganz und gar im Fahrwasser des Reichskanzlers. Der nämlich nutzte seine Mythisierung und Idealisierung, um einen innenpolitischen Durch­bruch in der Kolonialdebatte zu erwirken. Bismarck kam die Legenden stiftende

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