Heft 
(1992) 53
Seite
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Söldlinge, die in die Schlacht ziehen, wenn die an­dern zu Hause bleiben; wir haben zu Kriegern die Söhne des ganzen Volkes. Der Fürst steht neben dem Bauer, der Besitzer neben dem Arbeiter in einer Rei­he. Darauf ruht das allgemeine, gleiche Wahlrecht; nur im Sinne der Treue gegen König und Vaterland darf es geübt werden." 20

"Wir Konservative müssen die Vollmacht der Obrig­keit von Gott ableiten, der sie verliehen hat, nicht von der Majorität. Darum sind wir auch gegen den Parlamentarismus. Nicht gegen die konstitutionelle Verfassung. In der Konstitution eines Volkes tritt die Einheit des Staatslebens stärker hervor, da verbinden sich Fürst und Volk zu einem gemeinsamen Ganzen, für die kräftige Wirkung nach innen und für die ge­meinsame Abwehr nach außen." 21

Stoeckers Charakter und Persönlichkeit - beides ist ja in Fontanes Gestalt der Vogelsang-Figur von herausragender Bedeutung - sprechen jedoch gegen die Gleichsetzung von 'Royaldemokratie' und christlich-sozialer Programmatik, und aus dem gleichen Grund lassen sich nur recht vage Beziehungen zwischen der Romanfigur Fontanes und Leopold von Gerlach, dessen Interpretation des Got- tesgnadentums 22 in manchem an Vogelsangs Theorien erinnert, herstellen. Etwas deutlichere und direktere Beziehungen, die es freilich auch nicht erlau­ben, von einem Urbild oder einer Schlüsselfigur zu sprechen, bestehen zwischen Lieutenant Vogelsang und dem heute fast vergessenen, zu seiner Zeit jedoch die Schlagzeilen beherrschenden Historiker und Staatstheoretiker Heinrich Leo (1799-1878). Leo, der durch Hegels Protektion ab 1830 Ordinarius in Halle war, galt wegen seiner ausgedehnten publizistischen Tätigkeit schon bald als "eine(r) der markantesten Vertreter der politischen und kirchlichen, der feudal-ständi­schen Reaktion, die in dem Freundeskreise Friedrich Wilhelms IV. ihre vollkom­menste Verkörperung fand." 23 Zum geflügelten Wort wurde seine während des italienischen Krieges von 1859 auf Napoleon III. gemünzte Formulierung vom Hecht im Karpfenteich' 24 , aber auch Begriffe wie 'naturwüchsig' oderAufklä- richt' stammen aus seiner Feder 25 und bezeugen wegen ihrer Wandlung zum sprachlichen Allgemeingut die rhetorische Wirksamkeit der Diktion Leos. Seine brutale Polemik erregte allerdings auch vielfach Widerspruch, und so nimmt es nicht wunder, daß Leo z.B. im 'Kladderadatsch' regelmäßig verlacht wurde 26 und daß er schon 1838 in der unter dem PseudonymA... Hegelin' erschienenen 'dramatischen Scene' "Heinrich Leo vor Gericht" 22 als opportunistisch, eitel und reaktionär charakterisiert wurde. 28

Daß Leo für Fontane kein Unbekannter gewesen sein kann, ergibt sich aus ei­nem Brief, den Wilhelm von Merckel am 24.6.1858 an Fontane richtete und in dem es heißt:

"Glücklicherweise ist die Pariser Konferenz u. der Deut­sche Bundestag egalement langsam und zerfahren, so daß diesen Sommer (und im Winter also wohl auch nicht erst) noch kein Leoscher 'frischer Kneg' in Sicht

kommt (...)." 29

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