scheinheilige Art und Weise in seinem "Lehrbuch der Universalgeschichte" zum behutsamen Umgang mit dem öffentlich gesprochenen Wort mahnt:
"Laßt nur den Pöbel zum Worte kommen, so wird auch das Wort, dieses heiligste, herlichste Geschenk Gottes, ein pöbelhaftes; und aus pöbelhaften Worten setzen sich nur pöbelhafte Gedanken zusammen. Deshalb ist die Obhut des Wortes die höchste, die prie- sterlichste Pflicht jeder Regirung, und der Herr wird von den regirenden am Tage des Gerichts Rechenschaft fordern, ob sie seine heilige Gabe in Ehren gehalten und gehütet, oder verachtet, mit Füßen getreten, wenigstens straflos das Mitfüßentreten desselben gestattet haben. Nicht wo die Arme der Empörer zum Schwerte greifen, beginnen die Revolutionen; sondern mit der Unzucht des Wortes beginnen sie." 38
Kaum zu glauben und doch eigentlich nicht verwunderlich, daß der Verfasser dieser Sätze selbst immer wieder mit wahrhaft 'unzüchtigen' Formulierungen an die Öffentlichkeit trat. Ich erwähne nur das vier Jahre zuvor, 1838, publizierte "Sendschreiben an J. Görres", in dem es u.a. heißt:
"Wie aus tausend und tausend Warzen suchen S i e Preußen mit Krötenschleim zu bespritzen, aber Ihre Phantasie ist allein der Sumpf und Pfuhl, wo dieser ekle Laich gebrütet wird." 39
An solche rhetorischen Attacken kann Fontane gedacht haben, als er seinen "Erfinder der Royaldemokratie'' 40 in Frau Jenny Treibel als einen zwar lächerlichbeschränkten, aber doch auch gemeingefährlich-fanatischen Demagogen charakterisierte.
Daß als direktester Gegner und Widersacher Vogelsangs ausgerechnet ein Engländer, der vorerwähnte, ungezwungen-jungenhafte "Mr. Nelson from Liverpool " , erscheint, dürfte hierbei kein Zufall sein. Der Lieutenant a.D. sieht sich durch die Begegnung mit Nelson in seiner "lang gehegten Vorstellung von der Impertinenz englischer Nation" 42 bestätigt, und von Heinrich Leo wird berichtet, daß er in einer auffälligen, zeituntypischen Abneigung gegen alles Englische befangen war. 43 In der Polarisierung zwischen Nelson und Vogelsang wird man demnach nicht bloß einen Reflex der bekannten Anglophilie Fontanes erblicken dürfen. Noch in einem weiteren Punkt läßt sich eine Ähnlichkeit zwischen literarischer Figur und historischer Person feststellen. Zu den auffälligsten Besonderheiten Vogelsangs zählt seine Abneigung gegen jede Interessenpolitik und damit gegen die ökonomisch-egoistische Fundierung politischer Überzeugungen. Im Zeichen "absoluter Selbstlosigkeit” 44 will er für seine Sache eintreten, und seine Verachtung trifft alle, denen es "versagt (ist), in einer Idee aufzugehen." 45 Eine subtil-ironische Anspielung auf solchen Antimaterialismus findet sich gleich anfangs bei der Schilderung von Vogelsangs Ankunft in der Villa Treibel. In einer “Droschke zweiter Klasse" 46 läßt Fontane seinen politischen Visionär und Großsprecher Vorfahren, und darüber hinaus erfahren wir noch von "Auseinandersetzungen mit dem Kutscher" 47 , deren Natur der Erzähler taktvoll im dunkeln läßt, was den
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