Heft 
(1992) 53
Seite
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Leser offenbar an Pekuniäres denken lassen soll. Natürlich liegt in solchem Aske­tismus zunächst einmal ein offenkundiger Gegensatz zu der Großzügigkeitsphiloso­phie Fontanes, der seine positiver gezeichneten Protagonisten mit einem gewissen Quantum an Genußfreude auszustatten pflegt, aber darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß auch Heinrich Leo Sparsamkeit und Bedürfnislosigkeit predigte und praktizierte 48 , so daß sich auch in dieser Hinsicht eine gewisse Übereinstimmung zwischen historischer Person und literarischer Figur ergibt.

Zeigen sich aber nicht trotz aller 'Ähnlichkeiten' doch auch gewichtige Unter­schiede zwischen Vogelsang und Heinrich Leo? Immerhin verschreibt sich Vo­gelsang einer radikalen "Bekämpfung des Vampir-Adels"4 9 , während Heinrich Leo - nicht ganz zu Unrecht - von Friedrich Engels in einem Brief an Wilhelm Grae- ber von 1839 als "der einzige akademische Lehrer in Deutschland, der die Adelsaristokratie eifrig verteidigt" 50 , bezeichnet wird.

Ein genauerer Blick in den Fontaneschen Text hebt den hier anklingenden Wi­derspruch jedoch z.T. auf, und zwar insofern, als die Figur des Vogelsang von einer markanten Gegensätzlichkeit zwischen sprachlicher Äußerung und ha­bitueller Erscheinung geprägt ist, wie dies auf andere Weise auch bei Leo der Fall ist, der als Publizist anders denn als Staatstheoretiker sprach und dachte und über den Hans Rosenberg schrieb: "In seinen Gedankengängen wird man nicht weniger Widersprüche finden als im Leben selbst." 51 Nach Vogelsangs programmatisch-antiaristokratischer Tafelrede kommt es zu einem Gespräch zwischen Mr. Nelson und Corinna, in welchem auf entspre­chende Gegensätze zwischen den Äußerungen und dem Verhalten des Redners hingewiesen wird:

"Stuff and nonsense! What does he know of our ari-

stocracy? To be sure, he doesn't belong to it; - that's all.'

'Ich weiß doch nicht', lachte Corinna. 'Hat er nicht was

von einem Peer ofthe Realm?

Nelson vergaß über dieser Vorstellung beinahe all seinen

Groll (...).

Nicht anders als der stolz-griesgrämige Kakadu im Garten der Treibeis, mit dem ihn - natürlich - Mr. Nelson später vergleicht 53 , ist auch Vogelsang mit den ihn Umgebenden stets überquer, und von daher ist dieser Sonderling wohl von allen Figuren des Romans am schlechtesten geeignet, sich in eine 'Plateau mit Pic'-Gesellschaft einzuordnen. 54 Sein Habitus zeigt selbst Züge des Verzopften und Aristokratischen, so wie auch Heinrich Leo in seinen auf Konfrontation gerichteten Presseäußerungen die von ihm selbst propagierte Idee einer orga­nisch-ständischen Staatsverfassung immer wieder konterkariert.

Auch der Gegensatz zwischen Vogelsangs Militarismus -Ja, meine Herren, ich b i n Soldat../' 55 - und seiner Torfinspektor'-"Grandezza" 56 findet ein Pendant im Verhalten Heinrich Leos, der sich in geradezu blutrünstiger Kriegshetze übte, ohne jemalsim Feld gestanden' zu haben.

Wenn also die Figur des Lieutenant a.D. Vogelsang in so zentralen Punkten wie der Frage nach der Stellung zum Adel oder zum Militär ambivalent gezeichnet wird, so liegt gerade in dieser Ambivalenz u.U. ein Hinweis auf Heinrich Leo, dessen Leben und Werk in diesen Punkten ebenfalls von einer inneren Wider­sprüchlichkeit oder Uneindeutigkeit gekennzeichnet ist.

Gleichwohl ist Frau Jenny Treibel nach meiner Auffassung kein Schlüsselroman, und deshalb läßt sich die Vogelsang-Figur nicht einfach unter den Begriff der

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