buch der Universalgeschichte" äußerst negativ über Mirabeau urteilt, dem er "Ausgelaßenheit aller Art" 68 , "körperliche Ausschweifungen" 69 , "nidrig(e) Schwankungen seiner Überzeugung"70 u.ä. vorwirft. Mit Vogelsang entfernt sich also das Konzept der Royaldemokratie von seinen Ursprüngen, die bei Mirabeau liegen und von den Vertretern der neuen 'Plateau mit Pic'-Ideologie gar nicht mehr erkannt werden. Indem er den Begriff der ’Royaldemokratie' ins Spiel bringt, verweist Fontane auf die bei Vogelsang erreichte Differenz zu diesen Ursprüngen.
Ein Anlaß hierfür könnte der Umstand gewesen sein, daß die Mirabeau-Forschung speziell in der Zeit zwischen 1882 und 1893 einen großen Aufschwung erlebte 71 , weshalb fast schon von einem historiographischen "mirabellisme" 72 gesprochen werden kann. Frau Jenny Treibei entstand ab ca. Winter 1887 und wurde dann zuerst 1892 in der "Deutschen Rundschau" publiziert, so daß Fontane, der durchaus Interesse an Mirabeau gehabt zu haben scheint 73 , gerade damals von historiographischer Seite her auf Mirabeau aufmerksam gemacht worden sein kann. Darüber hinaus ist zweitens an die tagespolitische Diskussion zu denken, in der gemischt monarchistische und demokratische Staatsverfassungen immer wieder - bis in die Zeit Friedrich Naumanns hinein 74 - diskutiert wurden. Ein dritter Anlaß für eine mögliche Beschäftigung Fontanes mit dem Denken Mirabeaus kann schließlich darin liegen, daß ihm in den Werken jener Klassiker der deutschen Literatur, mit denen er sich vorzugsweise beschäftigte und aus denen er immer wieder zitierte, an herausragenden Stellen der Name Mirabeau begegnete. Neben Goethe 75 und Schiller 76 verdienen hierbei vor allem Kleist und Heine Beachtung.
Kleist präsentiert nicht nur an der bekannten Stelle seines Aufsatzes "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" Mirabeau als ein oratori- sches Genie, das sich in der Art einer "Kleistischen Flasche" 77 , eines Kondensators, mit Energie aufzuladen und im geeigneten Moment zu entladen versteht. Vielmehr zeigt er uns darüber hinaus in der Geschichte des Roßhändlers Kohl- haas das Funktionieren einer im Sinne der Mirabeauschen Royaldemokratie verfaßten Staatsordnung. Kohlhaas ist von dem Augenblick an schuldig, wo er sich als "Statthalter Michaels, des Erzengels" 78 , präsentiert, der eben nicht zu richten, sondern zu "bestrafen" 79 geschickt ist. Gerade die bei Kleist durch die Anteilnahme der Berliner Volksmassen an Kohlhaasens Prozeß 80 verdeutlichte demokratische Legitimation des strafenden Roßhändlers widerspricht aber den Mirabeauschen Prinzipien, wonach die Exekutive in den Händen des Königs liegen muß, dessen Machtausübung eben nicht durch demokratische Wahl, sondern qua Geburt legitimiert wird. Bei Kleist findet also die politische Konzeption Mirabeaus noch einen sehr unverfälschten Widerhall, und der Mirabeau-Leser Fontane mag als Zeitzeuge der Einpassung Kleistschen Gedankengutes in die wilhelminische Völksgemeinschaftsideologie 81 Anlaß gesehen haben, sich auf die eigentlichen Konturen und Ursprünge des politischen Denkens von Kleist zurückzubesinnen.
Was Heine anbelangt, so ist zunächst an dessen mehrseitige, trotz kritischer Untertöne insgesamt zustimmende Charakterisierung Mirabeaus zu denken, die er in der Beilage zum sechsten Artikel seiner "Französischen Zustände" liefert. Als "der eigentliche Repräsentant seiner Zeit" 82 ist der Graf für Heine nicht bloß oratorisches Genie, "Volksheld" 83 und mutiger Herausforderer des ancien regi- me . Vielmehr unterstreicht Heine besonders den Wert der politischen Theorien
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