Heft 
(1992) 53
Seite
83
Einzelbild herunterladen

ungewöhnlich begabt geschildert, vom Vater als "eine über das gewöhnliche Niveau sich erhebende Persönlichkeit" eingestuft. Und sie kannte auch ihre Vorzüge. Daß sie nicht schöpferisch verwerten konnte, was in ihr steckte, faßte sie in einen Vergleich: Sie käme sich vor wie einer, der klavierspielen könne, aber kein Klavier zur Verfügung habe. Und wohin ihre geheimen Sehnsüchte gingen, läßt sich erschließen aus den Vorbildern, denen sie nachträumte. In zwei Fragebögen 8 , wie sie zu jener Zeit Mode waren, - sie war beim Ausfüllen des ersten 17 Jahre, beim zweiten 30 Jahre alt - nennt sie als ihre "Lieblingsheldin" eine Frau, die Weltgeschichte gemacht hat: Charlotte Corday, die in der Franzö­sischen Revolution "das wilde Raubtier" Jean Paul Marat mit einem Messer erstach und dann, jung, schön und ruhig, mit heiterem Lächeln das Schafott bestieg. 9 In Charlotte Corday bewunderte sie ihr Gegenbild: So möchte sie sein - aber: so kann sie nicht sein. Auch die Frage, wer sie gern wäre, wenn sie nicht Martha Fontane sein könne, beantwortet sie mit einem irrealen Wunsch. Ihre eigene Enkelin möchte sie sein, sagt sie als Dreißigjährige. Da weiß sie schon, daß sie "zur Unzeit geboren" ist. Den Mädchen der übernächsten Generation werden Gymnasien und Universitäten offen stehen. In Metes Zeit waren es seltene Ausnahmen, wenn Frauen sich eine leitende Stelle erkämpften. Aber Mete war keine Kämpferin, zu einem Außenseiterdasein fehlte ihr die Kraft. Sie wollte das natürliche und selbstverständliche Recht haben, auch nach außen als das erscheinen zu dürfen, was sie war. Dieses Recht nicht zu haben, war ihre "Idee vom Unglück". So mögen ihre körperliche Kränklichkeit, die ererbte Sen­sibilität der Nerven und die Vergeblichkeit ihrer Lebenswünsche sich gegensei­tig hochgespielt haben, um ihr die Flügel zu lähmen.

Was also blieb? Der übliche Weg zur Heirat. Aber wen sollte Mete Fontane heiraten? Eine "Partie" war die Tochter des ewig in Geldnöten steckenden Jour­nalisten und Schriftstellers sowieso nicht. Und wie hätte sie einen Partner finden sollen, der ihrem geistigen Niveau entsprach? Die Gleichaltrigen mögen ihr stets wie kleine Jungen vorgekommen sein. Einer, den sie wohl geheiratet hätte, da sie mit seiner Familie befreundet war, zog sich verstört zurück, als er die Atmosphäre und geistige Kultur ihres Elternhauses bei einem Besuch kennenge- lernt hatte - da würde er ja nie bestehen können! -, und Mete scheint darüber nicht allzu traurig gewesen zu sein. 10 An ihren Vater reichte eben keiner heran. An ihm maß sie sich selbst, ihre Fähigkeiten und ihr Können. Am Vater mußten sich auch die jungen Männer messen lassen, die als Lebensgefährten in Frage kamen. Er, der Vater, war der unerreichte Gesprächs- und Briefpartner, er war der geliebteste Mensch - wer hätte ihn aus ihrem Leben verdrängen sollen! So waren es immer Vatergestalten, denen sie ihr Herz zuneigte. Schon der Sech­zehnjährigen war ein Freund des Vaters - Tenor, Dirigent, Musikerzieher Julius Stockhausen - der erste Schwarm. Vielleicht auch mehr als das. Als 1893 Senator Friedrich Witte 11 starb - auch ein Freund des Vaters - stürzte Mete in eine schwe­re gesundheitliche Krise. So war es denn auch ein Mann aus der Generation ihres Vaters, mit dem sie ihre späte Ehe schloß.

Daß Mete schließlich doch noch, als fast Vierzigjährige, einen Partner fand, mit dem sie sich eine Ehe vorstellen konnte, war für alle eine Überraschung. "Es geschehen Zeichen und Wunder... Es hat sich nämlich Großes zugetragen, ja, vom egoistischen Standpunkt das Größte und in manchen Augen sogar das Unglaublichste: Martha hat sich verlobt." Mit diesen Worten teilt Theodor Fontane den Rostocker

83