Heft 
(1992) 53
Seite
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Daß die Gemahlin an einem solchen Tag im Schatten blieb, ist aus dem zeitli­chen Kontext verständlich. Aber zu Hause, in Waren, welche Rolle spielte sie da? Womit beschäftigt sich eine kluge, hochgebildete Frau, wenn sie im Haus­halt durch viel Personal entlastet wird? Sie ist Theodor Fontanes Tochter - und ein reicher Nachlaß liegt zur Bearbeitung bereit. Mathilde Möhring ist noch ungedruckt, eine Fülle kleinerer Manuskripte liegt noch "im Kasten" - Skizzen, Entwürfe, angefangene und fast vollendete Novellen - und dann die Briefe! Sie sollen zuerst veröffentlicht werden, das ist Frau Emilies Wunsch. 35 Sie war schon bald nach dem Tod ihres Mannes darangegangen, seine Briefe zu sichten. Sie als Buch in die Hand zu nehmen, war ihr nicht mehr vergönnt. Sie starb 1902 - aber erst am 1. November 1904 konnte der Schwiegersohn Fritsch seinen Namen unter das Vorwort zum druckreifen Manuskript der Familienbriefe setzen. 36 Dazwischen lag eine Zeit mühevoller Arbeit. Familienmitglieder, später auch Freunde, mußten um Briefe gebeten werden, die sie von dem Dichter empfan­gen hatten und als Kostbarkeit hüteten. Die Briefe mußten entziffert und abge­schrieben werden, alles natürlich handschriftlich. Dabei hat auch Elise Weber geholfen, wie Reuter vermerkt. 37 Eine Auslese war zu treffen, man mußte über­legen und entscheiden, ob bestimmte Briefstellen zu tilgen oder zu ändern seien. Wo mußte, wo durfte man auslassen, wo raffen? An dieser Arbeit war die ge­samte Nachlaßkommission beteiligt, Mete jedoch war federführend. "Zur Lö­sung dieser Aufgaben", so schreibt Dr. Fritsch in seinem Vorwort, "war niemand mehr berufen als die Tochter Fontanes. Nicht nur, weil diese durch ein langes Zusammenleben mit ihren Eltern mit allen Beziehungen der Familie auf das genaueste vertraut war, sondern vor allem, weil sie infolge der innigen geistigen Gemeinschaft, die sie mit ihrem Vater verband, das sicherste Urteil darüber fällen konnte, ob die Veröffentlichung eines Briefes oder einer Briefstelle seine Billigung gefunden hätte." 38 So sei ihre weitgehende und unausgesetzte Mitwir­kung nicht zu entbehren gewesen. In allen zweifelhaften Fragen habe sie Aus­kunft gegeben und die Entscheidung getroffen. Als Mete später an den Freun­desbriefen, die Paul Schlenther herausgibt, ebenso mitarbeitet, läßt sie die Freun­din Paula Schlenther einen Blick in ihr Herz tun: "Ich möchte dabei aus meiner Haut fahren können, um über die gewünschte Objektivität zu verfügen. So kri­tisch ich manchen Arbeiten von Papa gegenüberstehe - in Briefe von ihm bin ich stets verliebt, auch in die nichtssagendsten." 39 Daß ein Literaturhistoriker und Fontaneforscher unserer Tage, Hans-Heinrich Reuter, die Familie für ihr Vorge­hen scharf verurteilt, erscheint hart. Vom wissenschaftlichen Blick her hat er recht. Durch Zensur und Verstümmelung sind die Briefe - so wie sie in der Erstausgabe der Nachwelt vorgestellt wurden - tatsächlich "wissenschaftlich wertlos". 40 Aber konnte die Familie damals anders handeln? Es lebten ja noch die Menschen, deren Namen in den Briefen genannt wurden! Eine philologisch exakte Ausgabe ist erst etwa sechzig Jahre später erschienen. 41 Sie stützt sich vor allem auf Abschriften und Originale, die das Fontane-Archiv aufbewahrt. 42

Dr. Fritsch hatte den Stoff so angeordnet, daß jeweils die Briefe zweier oder dreier Jahre einen Abschnitt bildeten. Jedem Abschnitt voraus ging eine kurze Vorschau von 10 bis 20 Zeilen, die über die Lebensumstände und das literari­sche Schaffen dieses Zeitraums Auskunft gaben. Auch dies war eine Arbeit, die nur Mete leisten konnte - es gab ja noch keine Fontanebiographie, wie man sie heute befragen kann. Da wundert man sich, daß allein K. E. O. Fritsch als Herausgeber zeichnet, daß Marthas Name im Titel überhaupt nicht erscheint. Es

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