2. Theodor Fontane an Felix Possart
Berlin 28. Januar Potsd. Str. 134. c.
Hochgeehrter Herr.
Gleich gestern Abend machte ich mich an die Durchsicht der Druck- und Schriftstücke, die ich Ihrer Güte verdanke, schrieb auch gleich das Nöthige nieder. Dies Nöthige besteht aus biographischen Notizen wie sie das blaue, von Ihnen hochgeehrter Herr verfaßte Buch giebt, aus einem Exzerpt aus dem Orel- lischen Aufsatze (welcher letztre, mit der Orelli-Elle gemessen, besser sein könnte) und endlich aus einem Verzeichniß seiner (Widmanns) Arbeiten. All dies ist gut, aber es fehlt mir zum Licht der Schatten und ich würde sehr gern wenn auch nur in 10 oder 20 Druckzeilen, dem Orellischen Urtheil ein zweifelvolleres, ja selbst ein hartes gegenüberstellen. Das Letztre wäre mir das allerliebste, weil ich dann so recht den Versöhnlichen, den Ausgleichenden spielen könnte, was in diesem speziellen Falle ganz besonders meinen Wünschen entsprechen würde. Fehlt mir aber ein anzweifelndes Urtheil, so komm ich in die unangenehme Lage selbst dieser Anzweifler statt der Versöhner sein zu müssen. Dies möcht' ich vermeiden. Irgend eine Kernstelle aus der Anklageschrift der Gebrüder Baruch (??) wäre mir also hoch erwünscht. Kann ich sie durch Ihre Güte erhalten? Ebenso den „Tannhäuser". Franz Duncker - vielleicht durch die Lasker-Begräbnisfeier abgehalten - hat mir noch nicht geantwortet. Ich würde aus dem „Tannhäuser" gern eine Stelle zur Charakterisirung Orellis citi- ren; sind sie mit dem Inhalte des Buches vertraut, so würd ich durch freundlichen Hinweis auf solche Stelle noch zu besondrem Danke verpflichtet sein. Die nöthigsten biographischen Notizen entnehm’ ich dem Moniteur des Dates oder wende mich, wenn mich dieser im Stich läßt, an die hier noch lebende Orellische Tochter. Bei Familienmitgliedern anfragen ist immer mißlich; man bindet sich dadurch die Hände. Wenn Ihre Freundlichkeit ein „ja" für mich hat, so komme ich um mir beide Drucksachen: Baruch (?) und Tannhäuser abzuholen.
In vorzügl. Ergebenheit
Th. Fontane
Ich schließe wegen der Orelli - Biographie noch einen Zettel bei. Soll ich selbst vielleicht noch einen Versuch bei der Familie Krause machen? Ich erwarte weder Staats- noch Familien-Geheimnisse, mir genügen ein paar Daten: Geburt, Lebensstellung des Vaters, Schule, Universität, wann nach Berlin, Titel der wichtigsten seiner Schriften und Aufsätze, Wohnung, Tod, Begräbnisplatz. Das Wichtigste sind die Zahlen, alles andre findet sich allenfalls. Ergebenst
Th.F.
Das Schreiben ist im Hanser-Briefverzeichnis unter der Nummer 84/8 aufgeführt. 6 - Der Brief ist laut Fontanes Tagebuch vom 28.1.1884 an Felix Possart gerichtet. Der undatierte Zettel, der der Handschrift des Briefes beiliegt, ist vermutlich Bestandteil des Briefes; hier als Nachschrift gedruckt.- Was mit der „Anklageschrift der Gebrüder Baruch" gemeint ist, blieb unermittelt, der Name könnte übrigens auch „Bruch" lauten; Fontane ist anscheinend selbst nicht