Zeit vor, und nur das Jahr 50 betrachte ich als ein Plateau, auf dem eine längre Rast genommen und Umschau gehalten wird. Hier spreche ich nun von Scherenbergs Beziehungen zum Hofe zur Militärwelt, zu L. Schneider, zu Schramm, zu Widmann-Orelli, zu St. Paul und zu mir selbst. Jedem Einzelnen ist ein besondres Kapitel gegönnt, aber in jedem schreitet die Erzählung nicht über das Jahr 50 hinaus. Eine Zeitlang war ich entschlossen, mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung von Widmann-Orelli, hier eine Ausnahme machen und eine Art Gesammt-Biographie Beider geben zu wollen. Es stört mir aber die Klarheit des Aufbaus und so hab' ich diesen Plan wieder fallen lassen.
Aus all diesem wollen Sie gütigst ersehn, wie ungerechtfertigt die Sorge vor Indiskretionen ist.
Es bleibt mir nur noch übrig, wiederholentlich den Wunsch auszusprechen, daß Ihre Güte das verehrte Paar beruhigen wolle. Vielleicht eignen sich diese Zeilen zu gef. Einsendung an dasselbe 12
Das Dilemma des Autors liegt zutage: den divergierenden Anforderungen, die der künstlerische Anspruch und die persönlichen Rücksichten ihm abverlangen, will er Genüge tun - oder vielmehr er sieht sich dazu gezwungen, wenn er nicht die Gunst seines Publikums und einflußreicher publizistischer Kräfte verlieren will. Man lese nur nach, mit wieviel gutem Zureden Fontane nach Erscheinen des Vorabdrucks seiner Biographie in der „Vossischen Zeitung" der in der Familie Hesekiel aufgekommenen Verstimmung wegen des von ihm entworfenen Bildes George Hesekiels in Briefen an die Tochter Ludovika zu wehren sucht. Seine „hochverehrte Freundin", das „gnädigste Fräulein", sein „Hochverehrtes Ludchen, Ritterin und Kollegin", Romanautorin wie er selbst, vor allem aber Rezensentin seiner Erzählwerke in der „Neuen Preußischen (Kreuz)-Zei- tung", wie wird sie den Passus vom „gefrühstückten Hesekiel" hinnehmen? „Wie mein Satz da steht, wirkt er so, daß Sie Anstoß daran nehmen durften. Freilich fürchte ich, daß Sie diesen Anstoß auch genommen haben würden, wenn ich im Ausdruck glücklicher gewesen wäre, aber dies darf mich nicht abhalten mein aufrichtiges Bedauern über einen in seinem Hange nach Präcision literarisch verfehlten Satz auszusprechen. " 13
Allerdings, was konnte ein Stilist Besseres tun, als dem „Hange nach Präcision" zu folgen? „Das Zeitalter des Schönrednerischen ist vorüber, und die rosenfarbene Behandlung schadet nur dem, dem sie zuteil wird. Freiweg", hat Fontane 1896 an Julius Rodenberg geschrieben - hier begegnen wir seiner eigentlichen Überzeugung. 14 Aber noch der ganz alte Autor notiert anläßlich des Erscheinens des zweiten Teils der Autobiographie (Von Zwanzig bis Dreißig) vielsagend im Tagebuch: „Zum Glück hatte ich nur Gutes geschrieben, so daß mir die üblichen Zurechtweisungen erspart blieben." 15
Vor diesem Hintergrund will es gesehen sein, daß Fontane in den von Possart übermittelten Orelli-Materialien neben dem Licht den Schatten vermißt und ein „zweifelvolleres, ja selbst ein hartes" Urteil begierig erwartet, seinem Informanten die Zusendung eines solchen nahelegt. Es handelt sich - allgemein gesagt - um ein erzähltechnisches Verfahren, das Äußerungen, die der Erzähler nicht in eigener Verantwortung vorbringen will, an eine vorgeschobene Instanz delegiert.