Heft 
(1992) 54
Seite
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Nimptsch weg und zurück zu Käthe von Sellenthin zu lenken. Das 24. Kapitel des Romans beginnt entsprechend:

Am dritten Tage traf ein im Abreisemoment aufgegebenes Telegramm ein:Ich komme heut abend. K."

Und wirklich, sie kam. Botho war am Anhalter Bahnhof (...). 20

Mit der Telegraphie - für deren Fortentwicklung sich Fontane bereits 1856 interessiert 21 , erobert jene immense Steigerung von Bewegung, jene Schnellig­keit, die während des gesamten 19. Jahrhunderts lustvoll gepriesen oder qual­voll beklagt, in jedem Falle aber breit reflektiert wird, 22 auch den poetischen Produktionsprozeß selbst. Fontane erinnert sich an seine Jahre bei derKreuz­zeitung" und an deren Chefredakteur folgendermaßen:

Zehn Gedichte in einer Stunde war für Hesekiel eine Kleinigkeit. Wozu Storm fünf Monate brauchte, dazu brauchte Hesekiel fünf Minuten. (...) Jede kleine Notiz wurde sofort zum Gedicht, und all das am anderen Morgen als lyrischen Erguß zu bringen, was am Abend vorher Telegramm gewesen war, war unmög­lich. 23

Mit dem Telegramm kommt diese Schnelligkeit auch ins Haus; und das wird als noch bedrohlicher erlebt. Ich möchte deswegen kurz genauer in Erinnerung rufen, welche Art von Signifikanz das Telegramm bei Fontane erhält. Vorher sind jedoch noch einige grundsätzlichere Bemerkungen zum Thema Telegra­phie und 19. Jahrhundert' am Platze.

Wolfgang Schivelbusch hat seinerGeschichte der Eisenbahnreise" den Unter­titelZur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert" gegeben. Zu dem, was Schivelbuschdas maschinelle Ensemble" der Eisenbahn nennt, 24 kommt alswichtigste technische Ergänzung (...) der elektrische Telegraph". 25 Die moderne Verbindung von Eisenbahn und Telegraph - die Hugo in Mathilde Möhring, wie eben zitiert, noch wie selbstverständlich herstellt -, 26 hat Fontane übrigens zur Gestaltung der Biographie eines 'modernen' Mannes verwendet und gleichzeitig gezeigt, wie man mit Hilfe der Telegraphie 'Karriere' machen kann; die 'Karriere' - wie freilich St. Arnaud meint - einesChevalier errant: 27 Gordon aus Cécile beginnt beiden Pionieren in Magdeburg, dann bei dem Eisen­bahnbataillon unter Golz", 28 also beim Militär (ohne die Eisenbahn, ohne die Militärzüge, die auch Fontane in Frankreich benutzt, 29 hätte Bismarck 1870/71 gar nicht siegen können); dort macht Gordon Schulden, muß aus der Armee ausscheiden, retiriert nach England und geht dannMitte der siebziger Jahre nach Suez, um hier, im Auftrag einer großen englischen Gesellschaft, einen Draht durch das Rote Meer und den Persischen Golf zu legen";3 0 er gehört also der Eastern Telegraph Company, London, an; 31 in Persien wird dannunter seiner Oberleitung eineTelegraphenverbindung zwischen den zwei Hauptstädten des Lan­des" 32 hergestellt; nach entsprechender Beschäftigung in Rußland, die ihmver­leidet" wird, ist er während der Zeit der Romanhandlungmit einer geplanten neuen Kabellegung in der Nordsee beschäftigt," 33 also für die Vereinigte Deutsche Telegraphengesellschaft, Berlin, tätig. 34

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