Nimptsch weg und zurück zu Käthe von Sellenthin zu lenken. Das 24. Kapitel des Romans beginnt entsprechend:
Am dritten Tage traf ein im Abreisemoment aufgegebenes Telegramm ein: „Ich komme heut abend. K."
Und wirklich, sie kam. Botho war am Anhalter Bahnhof (...). 20
Mit der Telegraphie - für deren Fortentwicklung sich Fontane bereits 1856 interessiert 21 , erobert jene immense Steigerung von Bewegung, jene Schnelligkeit, die während des gesamten 19. Jahrhunderts lustvoll gepriesen oder qualvoll beklagt, in jedem Falle aber breit reflektiert wird, 22 auch den poetischen Produktionsprozeß selbst. Fontane erinnert sich an seine Jahre bei der „Kreuzzeitung" und an deren Chefredakteur folgendermaßen:
Zehn Gedichte in einer Stunde war für Hesekiel eine Kleinigkeit. Wozu Storm fünf Monate brauchte, dazu brauchte Hesekiel fünf Minuten. (...) Jede kleine Notiz wurde sofort zum Gedicht, und all das am anderen Morgen als lyrischen Erguß zu bringen, was am Abend vorher Telegramm gewesen war, war unmöglich. 23
Mit dem Telegramm kommt diese Schnelligkeit auch ins Haus; und das wird als noch bedrohlicher erlebt. Ich möchte deswegen kurz genauer in Erinnerung rufen, welche Art von Signifikanz das Telegramm bei Fontane erhält. Vorher sind jedoch noch einige grundsätzlichere Bemerkungen zum Thema Telegraphie und 19. Jahrhundert' am Platze.
Wolfgang Schivelbusch hat seiner „Geschichte der Eisenbahnreise" den Untertitel „Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert" gegeben. Zu dem, was Schivelbusch „das maschinelle Ensemble" der Eisenbahn nennt, 24 kommt als „wichtigste technische Ergänzung (...) der elektrische Telegraph". 25 Die moderne Verbindung von Eisenbahn und Telegraph - die Hugo in Mathilde Möhring, wie eben zitiert, noch wie selbstverständlich herstellt -, 26 hat Fontane übrigens zur Gestaltung der Biographie eines 'modernen' Mannes verwendet und gleichzeitig gezeigt, wie man mit Hilfe der Telegraphie 'Karriere' machen kann; die 'Karriere' - wie freilich St. Arnaud meint - eines „Chevalier errant”: 27 Gordon aus Cécile beginnt bei „den Pionieren in Magdeburg, dann bei dem Eisenbahnbataillon unter Golz", 28 also beim Militär (ohne die Eisenbahn, ohne die Militärzüge, die auch Fontane in Frankreich benutzt, 29 hätte Bismarck 1870/71 gar nicht siegen können); dort macht Gordon Schulden, muß aus der Armee ausscheiden, retiriert nach England und geht dann „Mitte der siebziger Jahre nach Suez, um hier, im Auftrag einer großen englischen Gesellschaft, einen Draht durch das Rote Meer und den Persischen Golf zu legen";3 0 er gehört also der Eastern Telegraph Company, London, an; 31 in Persien wird dann „unter seiner Oberleitung” eine „Telegraphenverbindung zwischen den zwei Hauptstädten des Landes" 32 hergestellt; nach entsprechender Beschäftigung in Rußland, die ihm „verleidet" wird, ist er während der Zeit der Romanhandlung „mit einer geplanten neuen Kabellegung in der Nordsee beschäftigt," 33 also für die Vereinigte Deutsche Telegraphengesellschaft, Berlin, tätig. 34
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