Heft 
(1992) 54
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zu müssen, andererseits jedoch zugleich als denjenigen, der im Prinzip selbst eine Revolution gegen konservative Positionen durchgeführt hatte. Es galt - wie Peter Lutz Lehmann es einmal formuliert hat -, an Bismarcks Biographie das Paradoxonder Identität von Konservatismus und Revolution" 6 darzustel­len.

2.1 'Deich'/'Flut', 'Fesseln sprengen'

Zur Lösung dieses Dilemmas wird in den unzähligen Bismarck-Biographien, Schul-, Universitäts- und Festreden vor allem auf die Symbolik von 'Deich/Flut' sowie die des 'Fesseln Sprengens' zurückgegriffen und der Reichskanzler zum 'Deichhauptmann' gemacht, der er an der Elbe wirklich einmal war. Als solcher erscheint Bismarck in vielen Texten in doppelter Funk­tion: zum einen als derjenige, der einen festen 'Deich' der Monarchie gegen die von Frankreich her anstürmenden Revolutions 'fluten' errichtet hat; zugleich aber auch als derjenige, der die hinderlichen 'Ketten' und 'Fesseln' des bieder- meierlichen deutschen 'Michelschlafes' 'zersprengen' und 'hinwegspülen' mußte, um das deutsche Reich überhaupt gründen zu können. D.h. der mythi­sche Held Bismarck hatte zugleich eine aufbauende, progressive und eine zerstörende,u regressiv e Aufgabe zu erfüllen, was wiederum gena der Lévi-Strausschen Definition des Tricksters entspricht. Die diskursive Lösung dieses Problems lag in der Verwendung solcher Symbole, unter deren Bildseite verschiedener 'Sinn' bei gleichzeitigem Wechsel der Wertung gebildet werden konnte. Ich spreche im Anschluß an Jürgen Link im folgenden von Pictura" für die 'Bildseite', vonSubscriptio" für die des damit 'Gemeinten'. 7

2.1.1 Regressive Funktion

Für die regressive Funktion des 'Deichhauptmanns' Bismarck zunächst ein Bei- piel aus der 1899 in zweiter Auflage veröffentlichten Bismarckbiographie von Hermann Jahnke:

Während der Deichhauptmann Otto von Bismarck an den Ufern der Elbe die Wacht hielt, waren draußen über das Vaterland die Wogen einer unruhvollen Zeit hereingebrochen, die ihn bald auf eine höhere Warte riefen. Für die bevorstehenden Kämpfe mit den Wogen der gärenden Zeit hatte er in dem stillen, friedlichen Glück seines Hauses die rechte Kraft und Festigkeit erhalten. (...)

Da weht plötzlich über Nacht der laue Westwind herein und führt den milden Frühlingsregen über die winterliche Erde. Welch eine Wandlung in der Natur! Wie in den Tagen der Sintflut scheinen die Brunnen der Tiefe aufgethan; Sturzbäche brechen aus allen Schluchten hervor: in wenigen Stunden ist die weiße Schneedecke hinweggeschmolzen; in weite Wasserflächen verwandelt erscheinen Fluren und Thäler. Die Flüs­se und Ströme sprengen die sie fesselnde Eisdecke und brausen mit wil­dem Ungestüm dahin. Wehe den Landen, wo diese Wasserwogen nicht freie Bahn finden, wo Dämme und Deiche der seichten Ufer nicht hoch 33