bole jetzt eine solche Kopplung von Charaktermerkmalen tritt, die Bismarck als 'deutschen Preußen', 'familiären Politiker', 'Wille/Gemüt-Charakter' usw. präsentiert oder als 'Hirn/Herz-Menschen', wie er im Schillerschen Drama vorgegeben ist. So werden auch in den Biographien und Reden immer wieder solche Stellen aus dem Wallenstein zitiert, die auf die Doppeldeutigkeit von Charakteren hin weisen: „von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,/ Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte" 36 ; „Leicht beieinander wohnen die Gedanken,/ Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen" 37 . Auch Theodor Fontane hebt auf eine solche 'Herz-Kalkül-Ambivalenz' ab, wenn er schreibt, daß Bismarck „die größte Aehnlichkeit mit dem Schillerschen Wallenstein'' gehabt habe, „Genie, Staatsretter und sentimentaler Hochverräther". 38
Werden die hier noch nebeneinander stehenden Serien von Charaktermerkmalen auf zwei Figuren verteilt, dann bilden sie ein Dioskurenpaar, das in einem weiteren Schritt wiederum auf den mythischen Helden selbst abgebildet werden kann.
2.4 Dioskurenpaar zeugt Trickster
Ein prädestiniertes Paar für das Erzeugen eines Trickster-Helden durch Synthese von Charaktereigenschaften stellen seine leiblichen Vorfahren dar. Auch Bismarcks Eltern werden daher von den Biographen als Dioskurenpaar konzipiert, bei dem jeder Teil eine Serie wünschenswerter Eigenschaften einbringt. Zusammen bilden sie eine imaginäre Ganzheit, die sich in Sohn Otto konkretisiert. Kurz gesagt: Ein Dioskurenpaar zeugt einen Trickster.
Dabei ist kaum von Bedeutung, welche konkreten Eigenschaften der Vater, welche die Mutter einbringt. So kommt es durchaus vor, daß die Kopplung in frühen Biographien bei Umkehr der historisch belegten Verteilung der Eigenschaften erfolgt. In einer der ersten Bismarckbiographien überhaupt schreibt Gustav Jaquet 1867:
Dies sind die Eltern Otto v. Bismarcks. Der Vater ein rechter Ehrenmann, der als wahrer „Freiherr" auf dem alten Familienerbe (...) lebte; die Mutter eine recht deutsche Hausfrau, wirthlich, verständig, sanft und gut. Von ihr hat Otto von Bismarck Herzensmilde und lautre, ungeheuchelte Ehrfurcht vor der Religion, vom Vater Königstreue und jenen festen Sinn geerbt, der ihn Schweres überwinden, Widriges ertragen und in Stürmen nicht wanken läßt. 39
Daß das Bild von Bismarcks Mutter als typisch deutscher Hausfrau mit „Herzensmilde" und „Ehrfurcht vor der Religion" den tatsächlichen Gegebenheiten keineswegs entspricht - Luise Wilhelmine Mencken war Tochter des liberalen Cabinettsrats Anastasius Mencken und eine hochgebildete, eher intellektuelle Frau -, spielt im Mythos funktional keine Rolle. Wichtig ist allein, daß die Synthese der beiden Paradigmen von 'männlich festem Sinn' und 'weiblicher Herzensgüte' erfolgt. Nachdem die Kenntnis der Bismarckschen Familiengeschichte nach 1866 ins patriotische Alltagswissen eingegangen war, mußten die Pole jedoch umgekehrt werden. Der Vater bekam jetzt das 'Herz', die Mutter den Verstand' zugesprochen, wie 1872 Wilhelm Rudolf Schulzes „historisch-politische Skizze mit dem Titel 40 Bismarck und der Bismarckianismus zeigt: