Heft 
(1992) 54
Seite
41
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Wenn man Alles erwägt, was über die Erziehungsweise der Eltern Bis­marcks mitgetheilt wird, so findet man das glückliche und kurze Wort (...): »Der Vater war das Herz, die Mutter der Verstand des Hauses" im Grunde und im Ganzen bestätigt. Das Herz aber ist nun einmal das con- servative, der Verstand das liberale Element im Menschen. Das Empfin­den des Herzens bedarf der Ruhe und Sammlung; denn im Herzen findet sich, nach biblischer Anschauung, der Centralpunkt des menschlichen Geisteslebens (...). Der Verstand ist demnach, dem Herzen gegenüber, etwas Secundäres, freilich etwas überaus Wichtiges und Nothwendiges.

Die Synthesefunktion wurde durch solche 'Richtigstellung' jedoch keineswegs beeinträchtigt. Sie konnte vielmehr noch leichter erfüllt werden. Denn der 'Herz'-Pol verkörpert ja jetzt dasconservative", der 'Verstand'-Pol daslibe­rale Element", wobei die Synthese per se gefordert ist. So geht das Zitat weiter:

Der Mensch soll bauen (mit dem Verstand) und bewahren (mit dem Her­zen); er soll liberal und conservativ sein; (...) er soll - denken und glauben. 40

Das über die Verbindung einander eigentlich ausschließender Charaktereigen­schaften in einer Person erreichte Ergebnis ist dasselbe wie bei der 'Deich /Flut'-Symbolik: 'Revolution' und 'Reaktion', 'Konservativismus' und 'Liberalismus' können als sich wechselseitig ergänzende Aspekte und damit als Teile einer übergeordneten Totalität angesehen werden. Sie erscheinen nicht mehr als sich völlig ausschließende Extreme.

Ich kann hier nicht mehr auf alle für den Bismarck-Mythos relevanten Vermitt­lungskonzepte eingehen, sondern diese nur noch aufzählen. Weitere Synthe­semöglichkeiten liegen z.B. darin, Bismarck zusammen mit Goethe, Schiller oder Wagner in Dioskurenpaare einzubinden; oder - auf der Ebene des Trick- sters selbst - ihn zum 'Staatskünstler' zu erklären, ihn zu einem Faust mit den berühmtenZwei Seelen in einer Brust" zu machen. 41 Viele zeitgenössische Bismarck-Karikaturen, etwa aus demKladderadatsch" 42 , bilden nichts ande­res als diese Doppeldeutigkeit ab.

Dabei integriert der Bismarck-Mythos jeweils beide Pole zu einem als spezi­fisch 'deutsch' geltenden 'Real-Idealismus' und tendiert entsprechend selbst zur Repräsentativität. D.h. ein Bismarck wird gerade in seiner Trickster-Eigen- schaft zum typischen 'Deutschen' erklärt, an dem sich dann wieder kollektive Identitäten bilden können. Karl Hans Strobl formuliert 1915:

In diesem einen Leben finden sich alle Grundbestandteile der deutschen Art: Dürer ist darin und Ludwig Richter, Beethoven und Brahms, Lessing und Jean Paul, Luther und Kant, die Quitzows und Jakob Böhme. Alle Tiefen und alle Höhen, alles Licht und aller Schatten, alles Klare und alles Krause, alles Ernste und alles Heitere, alles Große und alles Kleine. 43

3. Fontane

Was Fontane über die ständige implizite Anwesenheit Bismarcks in seinem Werk gesagt hat, nämlich daß der 'Schwefelgelbe'in fast allem, was" erseit 70 geschrieben" 41 habe, umgehe 44 , ließe sich in gewissem Sinne auch auf die Fonta-