Als Theodor Storm in den Weihnachtstagen des Jahres 1852 nach Berlin reiste, um dort beim Justizministerium seine Einstellung in den preußischen Staatsdienst zu betreiben, ahnte er nicht, daß sein Name hier bereits einem Kreis literarisch interessierter junger Männer bekannt war und natürlich auch nicht, daß er mehr als drei Jahre im Umfeld der preußischen Metropole zubringen würde. Diese Zeit sollte für die literarische Entwicklung des damals 35jährigen Poeten, der durch stimmungsvolle Gedichte und Erzählskizzen auf sich aufmerksam gemacht hatte, von großer Bedeutung werden, denn als er 1856 eine Stelle als Kreisrichter in Heiligenstadt antrat, hatte der Erzähler Theodor Storm eine Entwicklung vollendet, die es ihm in der Folgezeit erlaubte, Novellen zu schreiben, die seine Freunde und Kritiker als gelungen bewerteten und in denen wir heute meisterhafte realistische Erzählungen sehen.
Von der Bedeutung, die seine Zeit in Potsdam und die vielfältigen Kontakte mit dem Berliner Freundeskreis für die Entwicklung seiner Erzählkunst hatte, soll im folgenden die Rede sein.
Dazu will ich zunächst die Hintergründe erläutern, die zu Storms Übersiedlung nach Potsdam führten und die ihn dann nach Heiligenstadt ins Eichsfeld brachten. Danach gebe ich einen Überblick über seine literarische Tätigkeit und ihre weltanschauliche Voraussetzung sowie über Storms Veröffentlichungen bis zu seinem ersten Besuch in Berlin. In einem dritten Teil zeige ich an den während der Potsdamer Zeit entstandenen Erzählungen, wie der Freundeskreis um Fontane kritisch auf den Dichter einwirkte und welche Konsequenzen Storm aus dieser Kritik zog.
I.
Über die Gründe seines Fortgangs aus der Heimat schreibt Storm am 12. Juli 1853 an Eduard Mörike:
„Bei dem Bruche zwischen Dännemark (!) und den Herzogthümern habe ich natürlich zu meiner Heimath gehalten, namentlich aber nach Beendigung des Krieges es für meine besondre Pflicht geachtet, meine Mitbürger, soweit ich dazu Gelegenheit hatte, gegen die Willkür der neu eingesetzten Königl. Dän(ischen) Behörden mit voller Rücksichtslosigkeit zu vertreten. So hat es denn kommen müssen, daß mir, trotz meines im Ganzen sehr von allem Oef- fentlichen zurückgezogenen Lebens, wie fast allen jüngeren und tüchtigeren Collegen, die Bestallung cassirt worden ist, da es der jetzigen Regierung besonders daran gelegen ist, alle Elemente namentlich der unabhängigen, deutschen Bildung möglichst zu vernichten. In dieser Veranlassung und weil ich mich nicht, wie es leider jetzt von Vielen geschieht, zu Schritten herlassen kann, die meiner Ueberzeugung und den Pflichten gegen meine deutsche Heimath widersprechen, bin ich jetzt eben in Begriff nach Preußen überzusiedeln, das wir nach etwa 1/2jähriger Probezeit, die indeß wohl etwas länger ausfallen wird, eine Anstellung als Justizbeamter und dadurch ein, wenn auch knappes, Auskommen ins Aussicht gestellt hat." 2
Der König von Dänemark war seit 1460 in Personalunion Herzog von Schles- wig und Holstein; der Konflikt zwischen Dänemark und den Herzogtümern 63