Potsdam aufnehmen. Aus der zunächst für ein halbes Jahr veranschlagten Probezeit wurden fast drei Jahre, die Storm unter schwierigen Bedingungen in Potsdam zubringen mußte. Erst im Juli 1856 erhielt er seine Ernennung zum Kreisrichter in Heiligenstadt, und im September zog er mit seiner Familie ins Eichsfeld um.
II.
Storm hatte bis zu seiner Übersiedlung nach Potsdam folgende Erzählungen geschrieben: Marthe und ihre Uhr, Im Saal, Immensee und Posthuma sowie die Märchen Der kleine Häwelmann und Stein und Rose (später Hinzelmeier). Das ist ein bescheidenes Werk für einen 35jährigen Erzähler, aber ein Blick auf die übrige literarische Produktion belehrt uns, daß Storm zu dieser Zeit noch längst nicht „ausgelernt" hatte.
Die Entwicklung als Lyriker kann zu diesem Zeitpunkt als abgeschlossen gelten; Storm hatte bereits als 15jähriger Pennäler in Husum begonnen, Gedichte zu schreiben, wobei er Muster der Empfindsamkeit und Anakreontik des 18. Jahrhunderts nachahmte; diese schülerhaften Versuche bezeichnete er später selbstkritisch als bloßes „Flügelprüfen". Seine Begegnung mit der Literatur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts während seines Schulbesuchs in Lübeck schärften seinen Blick für poetisch gehaltvolle Texte; als Student in Kiel und Berlin schrieb er weitere Gedichte, aber erst nach seiner Rückkehr in die Vaterstadt Husum, wo er eine Anwaltspraxis aufbaute und nach seiner Heirat eine Familie gründete, fand Storm in Liebes- und Naturgedichten den selbständigen Ton, der es ihm erlaubte, Gedichte zu verfassen, von denen Fontane später sagen konnte: „Als Lyriker ist er, das Mindeste zu sagen, unter den drei, vier Besten, die nach Goethe kommen."’ 12
In den Husumer Jahren zwischen 1842 und 1852 entwickelte Storm seine lyrischen Ausdrucksmöglichkeiten; er fand eine dichterische Sprache, die von vielen zeitgenössischen Kritikern nicht in dem Maße anerkannt wurde, wie sie es verdient hätte. Gerade die Freunde um Fontane in Berlin aber haben sofort gespürt, welchen Gehalt diese gefühlsbetonte Stimmungslyrik des Dichters aus Schleswig-Holstein aufweist. Als Lyriker konnte Storm von den Berlinern nicht mehr viel lernen; anders als Erzähler. Hier war er noch längst nicht zur späteren Meisterschaft herangereift. Noch experimentierte er mit unterschiedlichen Inhalten und Formen.
Ganz deutlich wird dieses Suchen bei einem Rückblick auf die Zeit in Husum vor der Emigration. Bereits in Kiel hatte Storm gemeinsam mit seinen Kommilitonen Tycho und Theodor Mommsen damit begonnen, Sagen, Lieder, Märchen und Reime aus Schleswig-Holstein zu sammeln. Georgraphisch zwar getrennt, aber durch stetige Korrespondenzen miteinander verbunden, purifi- zierte man die nach mündlichen Überlieferungen notierten oder aus schriftlichen Quellen herausgeschriebenen Texte. Später ist diese Sammlung durch den Kieler Germanisten Karl Müllenhoff 13 , dem Storm sein gesamtes Sagen-Materi- al üb ergab, in Buchform ediert worden. Aber der junge Advokat in Husum sammelte weiter; seine damalige Beschäftigung mit unterschiedlichen Kleinfor-
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