Heft 
(1992) 54
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de Vorgang einen besondren Keim zu poetischer Darstellung zu enthalten schien; andeutungsweise eingewebte Verbindungsglieder gaben dem Leser die Möglichkeit, sich ein größeres geschlossenes Ganzes, ein ganzes Menschen­schicksal mit der bewegenden Ursache und seinem Verlaufe bis zum Schlüsse ('Im Saal' z.B.) vorzustellen. Allmählich bildete sich die vollständige und völlig lückenlose Novelle heraus (...)" 16

Wie dieser Prozeß derHerausbildung" sich im einzelnen vollzog, das soll nun genauer dargestellt werden.

Kurz vor und während der Potsdamer Zeit schrieb Storm drei novellistische Texte: Ein grünes Blatt, Im Sonnenschein und Angelica sowie die humoristische Skizze Wenn die Äpfel reif sind. Noch immer ist die Grundstimmung von einer biedermeierlichen Idyllik gekennzeichnet, wenngleich in die Novelle Ein grü­nes Blatt die politischen Ereignisse in Schleswig-Holstein um die Jahre von 1850 hineinspielen. Für alle diese Erzählversuche gilt gleichermaßen die Kritik, die Franz Kugler an der Novelle Ein grünes Blatt geäußert hat, der er in seinem Brief vom 18. Mai 1853 bescheinigte:Es ist eben nichts Großes an Handlung darin, aber so, wie es ist, ist es die reizvollste Situation, (...)."

Weiter empfahl Kugler dem Freund,seinem Gesichtskreis allmählich eine objective Stoffwelt zu schaffen". 17

Wenn hier davon die Rede ist, daß Storm als Lyriker bereits vollendet war, daß er als Erzähler aber noch nach einem eigenen Ton suchte, als er in Berlin ankam, so darf nicht vergessen werden, daß seine weltanschauliche Position zu dieser Zeit ebenfalls bereits einen vorläufigen Abschluß erreicht hatte. Entge­gen anderer Akzentuierung in vielen Beiträgen zur Storm-Literatur vertrete ich die Auffassung, daß der Husumer Dichter sich bereits in den vierziger Jahren zu einer antichristlichen und radikal-demokratischen Haltung durchgerungen hatte 18 , die sich in seinen Heiligenstädter Novellen ganz deutlich zeigen wird und die uns zum Beispiel in der Novelle Im Schloß als ein geschlossenes natur­wissenschaftlich fundiertes Weltbild entgegentritt. 19 Storm propagiert ein neues Menschenbild unter Verzicht auf religiöse Elemente, in dem der Mensch auf sich selbst gestellt ist und nicht mehr der Erfahrung der Transzendenz bedarf, sondern sein Geschick selber in die Hand nehmen kann. Er ist selber für sein Lebensglück verantwortlich und benötigt - beim Mißlingen des Lebensplans - keinen religiösen Trost.

In dieser Hinsicht konnte er von dem Konservatismus seiner Tunnel-Freunde Eggers, Fontane, Kugler und von Merckel wenig profitieren, denen es aber auch gar nicht um politische Veränderungen der Gesellschaft in Preußen ging, denn sie zielten vielmehr auf eine Reform der Poesie und gaben sich in den ruhen fünfziger Jahren der Illusion hin, Berlin könne ein Zentrum des neuen Realismus werden. Darin erschöpften sich die Aktivitäten Kuglers und Fonta- nes ' diese Zielrichtung wurde durch die ZeitschriftArgo" literarisch-künstle­risch und durch das von Friedrich Eggers redigierteKunstblatt" auch theore- tisch verfolgt. Bei aller persönlichen Wertschätzung und beruflichen Förde- rung , die Storm in dankbarer Erinnerung behielt, blieb er den Berliner Freun- deh n doch merkwürdig fremd. Die Auflösungserscheinungen desRütli" nac

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