Heft 
(1992) 54
Seite
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Fontanes Weggang nach London waren bloß Symptom für das Scheitern jener hochfliegenden Pläne aus der Zeit der ersten persönlichen Begegnung mit Storm. Nach dem Tod Kuglers (1858) dokumentieren auch die auffälligen Lücken in den Briefwechseln mit Eggers und Fontane jene Entfremdung, die Storm aber nicht daran gehindert hat, von den Berlinern Ratschläge anzuneh­men; gerade weil Storm mit einer großen Offenheit und mit einer für seine Freunde ganz naiv wirkenden Unbefangenheit auf dem für ihn ungewohnten Parkett der preußischen Metropole auftrat, hielt er sich auch die Möglichkeit offen, zu lernen.

Wenn also von einer Entwicklung des Erzählers Storm Anfang der 50er Jahre gesprochen wird, so bezieht sich dies vornehmlich auf die Aneignung neuer Erzähltechniken, also auf die Form der Novelle und auf die Gestaltung trag­fähiger Inhalte, die Storm später alsMenschenschicksale" bezeichnet hat. Wie die Kritik der Berliner Freunde diesen Entwicklungsprozeß begleitet und gefördert hat, will ich an Beispielen erläutern. Ich wähle Äußerungen aus den Korrespondenzen, die Storm mit Theodor Fontane, Franz Kugler, Paul Heyse und Friedrich Eggers während seines Potsdamer Aufenthalts gewechselt hat. Sie enthalten zahlreiche Hinweise auf alle in dieser Zeit geschriebenen Erzäh­lungen.

III.

Die erste Novelle, die Storm seinen neuen Berliner Freunden anbieten konnte, war bereits 1850 geschrieben worden; Storm hatte während der Monate des Jahres 1853, als er auf einen Bescheid über seine Einstellung in den preußischen Justizdienst wartete, die Idee, Ein grünes Blatt zu einer Idylle im klassischen Versmaß umzuarbeiten, 20 aber er verzichtete darauf, diesen Plan zu verwirkli­chen, als Theodor Fontane ihn am 19. März um einen Beitrag für dieArgo" bat, jenesBelletristische Jahrbuch für 1854", das Fontane gemeinsam mit Franz Kugler herausgab und mit dem der Berliner Kreis Storm ein neues Forum zur Veröffentlichung seiner Dichtungen anbot. Dieses räumte im Gegensatz zum nur regional verbreitetenVolksbuch für die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg" dem Dichter aus Schleswig die Möglich­keit ein, nun in ganz Deutschland gelesen zu werden. Storm schickte das Manuskript der Prosafassung am 27. März nach Berlin, wo es von einem Redaktionsausschuß sogleich gelesen wurde. Bereits am 11. April berichtete ihm Fontane Einzelheiten über die Reaktion dieses Redaktionsausschusses, dem er selber angehörte. Die sich daraus ergebende Korrespondenz 21 zeigt zunächst ein Mißverständnis der Berliner, das den Novellenschluß betrifft. Die Diskussion kann hier nicht in allen Einzelheiten entfaltet werden, soviel aber läßt sich zusammenfassend sagen: Fontane und seine Freunde kritisieren die Uneinheitlichkeit der Erzählung, die Zweideutigkeit des Novellenausgangs. Fontane trägt seine Kritik mit aller Rücksichtnahme vor, doch sie kann von Storm auch durch ausführliche Erläuterungen nicht ausgeräumt werden. Storm hat mit der weiblichen Hauptgestalt der Regine zunächst ein junges Mädchen geschildert, wie wir sie häufig in seinen Novellen finden: naturverbunden, anmutig, selbstbewußt. Durch die politischen Ereignisse in seiner Heimat um 68