Heft 
(1992) 54
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das Jahr 1850 ist ihm schließlich diese Mädchengestalt zu einer Allegorie der Freiheit geraten, was durch die skizzenhafte Andeutung zu einem Wider­spruch mit dem Erzählrahmen führt, den Storm ganz aktuell im Freiheits­kampf der Schleswig-Holsteiner ansiedelt.

Auch Eduard Mörike ist dieser Widerspruch aufgefallen, als er sich im April 1854 bei Storm für die Übersendung des Erstdrucks bedankt. 22 Hinter dem im Detail sehr komplexen Streit über dieses Thema zwischen Storm und Fontane steht ein Deutungsproblem, das sich durch die politischen Verhältnisse der frühen fünfziger Jahre erklären läßt, 23 da die Rahmenerzählung vor einem poli­tischen Hintergrund spielt, der sich - im Jahre 1853 - gegenüber den Ereignis­sen der Binnenhandlung bereits verändert hatte. Es ist aber auch möglich, die anhaltenden Mißverständnisse zwischen Storm und den Berlinern aus der kompositorischen Schwäche zu erklären, die dadurch entstanden ist, daß Storm zunächst eine seiner typischen Situationen beschreibt; die Begegnung zwischen Regine und dem Jäger Gabriel in der Abgeschiedenheit des Waldes trägt idyllische Züge; der alte Patriarch, das frische Mädchen und die weite, Geborgenheit vermittelnde Natur werden vom Erzähler als Einheit empfun­den. Soweit entspricht diese Erzählung dem, was Storm zu dieser Zeit zu Papier bringt und was er später einmal gegenüber Erich Schmidtetwas Sprunghaftes oder Guckkastenbilder" genannt hat. 24 Die ganze Binnenhand­lung ist eine Szene von hohem poetischen Gehalt; insofern entspricht sie dem, was Fontane und sein Kreis unterrealistischer" Erzählweise verstehen.

Aber es fehlt ihr an einem anderen Element, das ebenfalls für realistisches Erzählen konstitutiv ist. Fontane formuliert dies 1853 in seinem Aufsatz über Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848:

«(...) haben wir die Erkenntnis als einen unbedingten Fortschritt zu begrüßen, daß es zunächst des Stoffes, oder sagen wir lieber des Wirklichen, zu allem künstleri­schen Schaffen bedarf," 25

DiesWirkliche" ist es gerade, das Storm durch die Rahmenerzählung zu sei­ner Skizze hinzugefügt hat; das Poetische der Situation soll somit dem wirkli­chen Leben verknüpft werden, denn - so hat es Fontane in seinem Aufsatz gefordert - das Leben hat den Stoff für das realistische Erzählen abzugeben. 26 Und diese Verbindung beider Momente realistischen Erzählens ist Storm in Ein grünes Blatt noch nicht gelungen. Daß ihm zu diesem Zeitpunkt noch die Fähigkeit fehlt,ein ganzes Menschenschicksal mit der bewegenden Ursache u nd seinem Verlaufe bis zum Schlüsse" (Brief an Alberti, s.o.) zu gestalten, erkennen wir in den weiteren Erzählungen, die während seines Aufenthaltes in Potsdam entstehen. Bis jetzt ist aber bereits deutlich geworden, was Fontane meinte, als er zu Beginn der gemeinsamen Arbeit den Husumer folgender- maßen charakterisierte:

"An ihm ist jeder Zoll ein Dichter. Kein großer, aber ein liebenswürdiger, wir möchten sa gen ein recht poetischer Dichter. " 27

Die erste Erzählung, die Storm nach seiner Übersiedlung von Husum nach Potsdam geschrieben hat, deutet bereits durch den Titel, Im Sonnenschei n an dnd es sich wieder um eine Situationsbeschreibung handelt. Die Idee entsta

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