gerecht zu werden vermochte, zeigt die ausführliche Kritik, die Franz Kugler Storm in einem Brief vom 23. Dezember 1855 übermittelte:
„Sie laufen Gefahr, sich in das Subjective zu verlieren; auch Ihre Gedichte sind nicht ganz frei von Dokumenten, daß Sie künstlerisch behandeln, ausfeilen u als selbständiges Kunstwerk hinstellen, was so doch nicht seine objective Geltung hat, was hiermit in seinem künstlerischen Anspruch, anspruchsvoll erscheint, ohne dem doch durch das Maß des Inhalts zu entsprechen. Sie haben in dergleichen eine Wendung, welche Ihre eigenthümlichen Vorzüge in eigenthümliche Nachtheile verkehrt. Mein Wunsch wäre es, oder vielmehr: es scheint mir - immer wiederum nach meiner Ansicht - ein dringendes Erforderniß, daß Sie selbst Ihren Subjectivismus eine recht herzhafte Objectivität entgegenstellen, daß Sie Stoffe eines starken gegebenen Gehaltes suchen, und daran Ihr subjectives Vermögen wie in prismatischen Farben leuchten lassen."
Kugler hat damit noch einmal ganz klar ausgesprochen, was in allen Kritiken der Berliner Freunde deutlich wird: Noch mangelt es Storms Erzählungen an tragfähigen Stoffen, die es ihm erlaubten, seine Fähigkeit der Skizzierung von Einzelbildern zur Gestaltung realistischer Novellen auszuweiten. Deshalb die Warnung vor der Gefahr, sich ins Subjektive zu verlieren. Denn dieses Ziel verfolgten alle des Kreises um Fontane: Sie wollten eine Literatur anregen und fördern, von der sie die Spiegelung des wirklichen Lebens im Element der Kunst erwarteten.
Beim nächsten erzählerischen Versuch, der Anfang 1856 geschriebenen humoristischen Skizze Wenn die Äpfel reif sind, sind sich die Freunde in Berlin erneut einig, daß der Text für eine Veröffentlichung in der „Argo" geeignet ist 35 ; Friedrich Eggers schreibt:
«Die reifen Aepfel, lieber Tannhäuser, haben uns eben auf 'der Näse getanzt'und sind uns an dem Munde vorübergeduftet. Urtheil: gut und gern in das Album aufgenommen." 36
Interessanter als dieses eingeschränkte Lob ist aber der Antwortbrief Storms, in dem er die nicht ausgesprochene Kritik des Freundes selber auf den Begriff bringt:
«Ja gut, liebster Freund, Rütli hat ganz Recht. Aber ich möchte doch nur 'Sehr Gutes' bringen. Wo liegt der Haken? Heraus damit! Ich will euch meine Mei- nung sagen, und tragt sie im nächsten Rütli einmal vor.
Der Ton des Eingangs ist zu delicat und erregt zartere Erwartungen, als nach- her befriedigt werden können dem Stoffe nach. Es muß schon sogleich die Schilderung der Localitäten etwas von der derberen und humoristischen Farbe der späten Geschichte haben; zu viel natürlich nicht." 37
Diese Selbstkritik zeigt, daß Storm zu diesem Zeitpunkt genau wußte, was in se ‘nen bisherigen Erzählungen fehlte: tragfähige Stoffe. Damit war er zu einem vorläufigen Ende in der Entwicklung seiner Erzählkunst gelangt; die stimmungsvollen Skizzen waren als Momentaufnahmen geeignet, Situationen vor 71