ben worden, auch, wenn sie darüber hinaus den Stempel des fontaneschen Stils tragen. In ihnen dokumentiert sich des Autors eigentliches Interesse an Großbritannien jedenfalls nicht. Es gibt aber auch Artikel, in denen der Privatmann Fontane seinen eigenen Vorlieben Rechnung trägt. Nur in Beiträgen für Beilagen oder Feuilletons war dies möglich; hier durfte er, relativ unbeeinflußt von tagespolitischen Erwägungen, in die geliebte britische Geschichte eintauchen. Erstes Beispiel hierfür ist der Artikel Waltham Abbey, am 28. Juli 1857 im Feuilleton der „Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung" erschienen. Er schildert, wie viele andere Beiträge Fontanes auch, den Besuch historischer Stätten. Fontane liebte es, an jene Orte zu fahren, die er in seiner Jugend durch Lektüre von Romanen und Gedichten kennengelernt hatte. Auf diese poetische Spurensuche hat bereits Herbert Knorr hingewiesen, der zur Schottlandreise Fontanes kommentiert: „Er wanderte auf Scotts Spuren und suchte die in den Romanen behandelten historischen Stätten wie alte Bekannte auf." 26 In bezug auf Waltham Abbey war es eine andere literarische Quelle, auf der Fontanes Interesse fußte: „Der Name Waltham-Abbey ist mit verwebt in das Trauerspiel des Hastingstages. Ich kannt' es lange, seit meinen Knabenjahren, wo ich mit großen Augen vom Hastingstage und dem Taillefer las, aber ich wußte nicht, daß diese Perle in unmittelbarer Nähe Londons liege. Dem Namen endlich auf der Karte begegnen und den nächsten Sonntag für eine Pilgerfahrt dahin festsetzen - war eins. " 27 Wie bereits in einem Kapitel von Ein Sommer in London, betitelt Hastingsfeld, benennt Fontane die Ludwig-Uhland-Ballade Taillefer als Quelle seines Wissens, 28 die sogar bis in seine Kindheit zurückreichen soll. Daß Fontane die Ballade mit 'großen Augen' gelesen und eine 'Pilgerfahrt' unternommen hat, unterstreicht die große Bedeutung, die er Waltham Abbey beigemessen haben muß. Der Ort erlange, so erklärte Fontane, seine Bedeutung durch die Sage, daß ‘König Harald' 29 dort begraben worden sei. Die Geschichtsforscher jedoch glaubten, Harald liege im Sand des Schlachtfeldes verscharrt. „Das klingt nach Wahrheit; aber die Sage spricht von Edith und Waltham-Abtei, und die Sage hat immer recht, selbst dann noch, wenn sie Unrecht hätte." 30
Diese Aussage zeigt eindeutig, worum es Fontane hier zu tun war: um die mit dem Ort verbundene poetische Sage, nicht um rekonstruierte historische Wirklichkeit. Die Poesie macht demnach die Geschichte interessant, nicht umgekehrt. Wie sehr Fontane diesem Prinzip selbst nacheiferte, daß ihm mehr an poetischer Schilderung lag als an historischer Genauigkeit, zeigen sein Stil und seine Arbeitsmethode. Er schildert in romantischer Verklausulierung den Friedhof der verfallenen Abtei als „... einen jener wunderbaren Plätze, deren Zauber uns aussöhnt mit dem Gedanken des Sterbenmüssens." 31 Dem Leser wird mitgeteilt, daß dort der 'dickste Baum im ganzen Königreich' stünde, um dessen Stamm herum alte Männer auf einer Bank säßen. Fontane reagiert wie folgt auf diese Szene: „Ich fragte nicht, wer den Baum gepflanzt habe, ich würde keine Antwort erhalten haben. Ich wußte es. Das mußte die Stelle sein, wo die Leiche König Haralds gestanden hatte..." Und: „Die Ulme war gewachsen über dem Grabe, gewachsen wie diese Insel selbst, rastlos, endlos, ein Reis erst, dann ein Baum wie andere Bäume, und dann - ein Riesenbaum."
Ein schönes Bild. Aber Fontane irrt. Tatsächlich ist der Platz, wo der Sage nach König Harald bestattet wurde, nicht dort, wo der Baum stand, 32 denn Baum
79