Heft 
(1992) 54
Seite
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und Kirchhof sind südlich der Kirche, an deren Längsseite. Ein Gedenkstein etwa 20 Meter östlich des Kirchenschiffes, also in Verlängerung der Achse, markiert heute die Stelle, wo einst über dem angeblichen Grab des Königs ein Altar und eine Kapelle errichtet wurden. Von der Kapelle sind nicht einmal mehr Ruinen übrig; jetzt ist dort nur noch eine Rasenfläche.

Fontane hat nicht nach der Position des Grabes gefragt, denn sonst hätte er sei­nen Irrtum unzweifelhaft bemerken müssen. Sein 'ich wußte es drückt nur das noch einmal aus, was er schon mitdie Sage hat immer recht formuliert hat. Nicht Fakten und Tatsachen kommt die entscheidende Bedeutung zu. Historie ist nicht um ihrer selbst willen wichtig, sondern als Stoff einer geschätzten Dichtung oder als Grundlage eines poetischen Gefühls.

Das Gedächtnis als lückenhaftes Notizbuch

Wie intensiv recherchierte Fontane 'vor Ort' für seine Artikel? Wieviel Wert legte er generell auf die Genauigkeit seiner Einzelangaben? Eine Analyse jenes Briefes aus Manchester, in dem Fontane seinen Besuch im nordenglischen Che­ster schildert, soll eine erste Antwort auf diese Fragen zu geben versuchen.

Der Reisende vergleicht die Stadt mit Oxford und bezeichnet sie als 'englisches Nürnberg'. Als besondere Sehenswürdigkeit lobt er die mittelalterliche Stadt­mauer 33 und die 'Rows' 34 , eine Art von Arkadengängen.

Es finden sich einige Ungenauigkeiten in Fontanes Schilderung, die bei präzi­seren Erkundigungen vielleicht hätten vermieden werden können. Die Stadt­mauer Chesters ist nicht römisch, wie er behauptet, da die bis zum fünften Jahrhundert existierende römische Siedlung erheblich kleiner war als der Bereich, den der im Mittelalter gebaute Wall umfaßt. 35 Die Inschrift an einem der alten Häuser lautet 'God's Providence is Mine Inheritance', Fontane aber gibt sie wieder als 'Gods Providende is my inheritance'. Er ändert also 'Mine' und schreibt die letzten beiden Worte klein, darin vom Original abweichend. 36 Das ist natürlich nur eine Kleinigkeit, könnte aber ein aufschlußreicher Hinweis darauf sein, daß Fontane sich den Spruch nicht notierte, sondern aus dem Gedächtnis zitierte.

Wenn Fontane den Spaziergang auf dem Wall schildert, beginnt er mit dem 'Wassertor' in Richtung Chester Castle;Zur Rechten die Stadt, zur Linken die Landschaft." 37 Ebenso beschreibt er den Teilabschnitt zwischen Chester Castle und der Kathedrale mit... weite Kornfelder zur Linken, umfriedete Gärten zur Rechten." Tatsächlich aber war in beiden Fällen die Stadt mit ihren Gärten links und das offene Land rechts von ihm. 38 Offensichtlich hat er in der Erinnerung die Richtungen verwechselt.

Die Kathedrale Chesters wird von Fontane als auf der 'Höhe' einesHügels ste­hend beschrieben. Sie befindet sich aber ebenerdig zur Mauer, nur etwa 50 Meter von dieser entfernt­ .3 9 Den 'Water-Tower ' in Richtung Watergate passie rend, will Fontane einen 'Ceasar-Tower' gesehen haben und an denRuinen der Trümmerkirche von St. John' vorbeigekommen sein. Einen Turm des genannten Namens hat es nie gegeben und St. John's Church liegt genau am entgegenge- setzen Ende der Stadtmauer, auf halbem Wege zwischen Chester Castle und King Charles' Tower. 40

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