das Höchste, dessen das Menschenherz fähig ist: für Liebe und Treue. Soviel über die Geschichte der schottischen Hochlande. Shakespeares 'Macbeth' und ein halbes Dutzend der anziehendsten Romane haben den Ruhm dieser Geschichte über die Welt getragen, aber die poetische Verherrlichung darf uns doch schließlich über die, historisch genommen, relative Bedeutungslosigkeit derselben nicht täuschen.
Fontane benennt hier selbst den Unterschied zwischen historischer Dichtung und dokumentierten geschichtlichen Ereignissen, entscheidet sich aber klar gegen letztere: „Das wahre Fortleben, das Leben in Lied und Gesang, das Leben im Herzen und in der Erinnerung der Menschen, dies Fortleben ist dem schottischen Hochlande für alle Zeit gesichert." 49
Die größte Bedeutung mißt Fontane also vorbildhaften Tugenden der Menschen bei: 'Liebe' und 'Treue' des 'Menschenherzens', die im 'Herzen' und der 'Erinnerung' der folgenden Generationen weiterleben werden. Gestaltet werden diese vorbildhaften Charaktere aber nicht von der Geschichte, sondern von einem Dichter. Historische Ereignisse dienen folglich nur als glaubwürdige Kulisse, vor der sich ideale Eigenschaften oder große Schicksale beispielhaft präsentieren können.
Inwieweit Fontane hierbei von Klassik und Romantik beeinflußt wurde (vor allem dürfte die Bedeutung des schottischen Romantik-Fürsten Walter Scott für Fontane und sein Werk kaum zu überschätzen sein 50 ), inwieweit seine Einstellung typisch für die Entwicklung der Literaturepoche des deutschen Realismus ist, kann an dieser Stelle nicht mehr diskutiert werden. Nur ein kurzer Hinweis sei gestattet:
Nicht zuletzt dürfte einerseits das politische Klima während seiner Kind- und Jugendzeit, andererseits die fehlgeschlagene Revolution von 1848 eine gewichtige Rolle bei Fontanes Hinwendung zur Vergangenheit gespielt haben. Oder ist es nur ein Zufall, daß er nach eigener Aussage im Sommer 1848 erstmals Percys „Reliques of Ancient English Poetry" und Scotts „Minstrelsy of the Scot- tish Border" gelesen haben will, „... zwei Bücher, die auf Jahre hin meine Richtung und meinen Geschmack bestimmten "? 51 Die politische Situation war nach dem Fiasko der Revolution eben nicht mehr danach, sich weiter hoffnungsfroh mit Politik zu beschäftigen (genausowenig, wie sie es vor dem Jungen Deutschland gewesen war). Was auf Julian Schmidt, einen der Programmatiker des deutschen Realismus, zutrifft, gilt möglicherweise für die meisten Autoren seiner Zeit und auch für Fontane: „Da ihm die Perspektive in eine 'bessere' Zukunft verbaut ist, die Gegenwart kaum mehr zu idealisieren ist, wendet er sich in zunehmendem Maße der Vergangenheit zu." 52
Aber zurück zu Fontane, der bereits in einem Brief vom 27. Juni 1851 an seinen Freund Bernhard von Lepel betont hat, daß es ihm in seinen bis zu diesem Zeitpunkt verfaßten Balladen und Prosastücken eigentlich nicht um Geschichte zu tun sei: „Ich will immer Menschliches geben und Du witterst immer Historisches ." 53 Diesem Satz kommt eine Schlüsselrolle bei der Beurteilung von Fontanes Artikeln über Großbritannien zu (soweit diese nicht, wie gezeigt, politisch beeinflußt waren). Vielleicht aber ist er auch ein Schlüssel zur Persönlichkeit Fontanes selbst, eine Erklärung für die zwangsläufige Entwicklung vom Journalisten
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