Diese Beschreibung wird später ebenso und nahezu wörtlich in die Wanderungen übernommen. Verändert sind die folgenden Stellen: aus den Parkanlagen des französischen Landschaftsarchitekten und Schöpfers der Gärten von Versailles Andrö le Nötre sind „altfranzösische" Anlagen geworden, das „Reich der Feen und Geister" findet sich bereits verschlüsselt, „alles in einem wunderbaren Licht", und aus dem „mit Erlenwald umstandenen Spreearm" mit dem „Gewölbte(n) Laubdach" ist ein „mit Schlangenkraut überwachsen(...)er Flußarm" geworden. 6 An dieser Stelle des Übergangs der Vorform „Aufsatz" in das Medium „Reisebericht" lassen sich bereits Modifizierungen, intensivierende Bearbeitungen des Materials verzeichnen.
Geblieben ist die größere Textumgebung, in der Fontane die Bildlichkeit Venedigs evoziert, die Stadt letztlich selbst nennt. Die Rede ist von Gondeln und Gondoliere, von Lehde als der „Lagunenstadt im Taschenformat, ein Venedig, wie es vor 1500 Jahren gewesen sein mag". 7
Fontane bringt somit den Spreewaldkanal, den er als Poetensteig konstruiert, in den Zusammenhang mit Venedig, der Stadt, die als Metapher für Tod und Verfall vielfach literarisch verarbeitet worden ist. 8 Fontane gibt ihr allerdings für sein Schrifttum insofern Eigenständigkeit, als er durch die Charakterisierung des Spreekanalystems 9 als Organismus - dies wird zwar nicht explizit realisiert, eine Assoziation läßt sich jedoch bei der gewählten Diktion leicht erzielen -, als „Fluß", in der Gegenüberstellung mit Venedig, deren Kanalystem als gestaut und somit tot, entlarvt und - unausgesprochen - pointiert.
An anderer Stelle läßt Fontane den Hofrat Gottgetreu diesen Gehalt so aus- drücken: „... denn auf das Moment der Bewegung kommt es an. Ein stehendes Wasser ist Tod, ein bewegtes Wasser ist Leben". 10
Gestützt wird die Todes- oder Jenseitssymbolik durch das „Reich der Feen und Geister" der ersten Fassung. Von Bedeutung ist hier jedoch, Wunberg weist in seinem Aufsatz darauf hin, daß das Totenreich, respektive die Welt der Geister, nicht erreicht wird, sondern daß die Gesellschaft, die den Kanal durchfährt, unmittelbar vor dem Eindringen den Kurs ändert und in einen neuen „Flußarm" einbiegt.
Im Stechlin macht sich Fontane zunächst nicht die Mühe 11 , den Poetensteig beim ersten Erwähnen zu beschreiben. Zu dem „Bild des Behagens" (15) 12 , das er mit Dubslav und einigen Requisiten entwirft, gehören auch „ein Rundeil, in dessen Mitte, von Blumen eingefaßt, eine kleine Fontäne plätscherte" und der rechts daran vorbeilaufende „sogenannte(r) Poetensteig", an dessen Ende sich ein „aus allerlei Gebälk zusammengezimmerter Aussichtsturm" über die Landschaft erhebt. Erst später erfährt der Poetensteig eine Würdigung, als sich der Berliner Besuch mit dem Hausherrn aufmacht, das von Dubslav aufgestellte „Programm" zu absolvieren. Der erste Punkt auf der Stechlinschen Liste vorzuführender Sehenswürdigkeiten ist der bereits erwähnte Aussichtsturm.
Der Weg dahin, keine hundert Schritte, führte durch einen sogenannten Poetensteig'. 'Ich weiß nicht', sagte Dubslav, 'warum meine Mutter diesen etwas anspruchsvollen Namen hier einführte. Soviel mir bekannt ist, hat sich hier niemals etwas betreffen lassen, was zu dieser Rangerhöhung einer ehemaligen Taxushecke hätte Veranlassung geben können.'{59)
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