Über diesen Gang promeniert man nun dergestalt, „daß man sich immer erst an der Glaskugel traf, wenn das voranschreitende Paar schon wieder auf dem Rückwege war."( 91)
Hier der freie Blick auf Umgebung und Außenwelt, da der in Mauern eingeschlossene, zudem zyklisch stets in sich selbst zurückkehrende Gang, die Spaziergänger wie Planeten eine eingeschlossene Sonne umkreisend. Dies, im Zusammenhang mit der Schilderung der ruinenhaften Klosteranlage, wirft ein klares Licht auf Fontanes Meinung über diese Art von Adel. - Der in sich selbst stockende Gang läßt wieder die Assoziation zu Venedigs toten Wasserstraßen aufkommen. Melusines Worte über „abschließen" und „einmauern" (288) stellen sich ein, und die Gewalt des Kreises läßt an den Schach denken, „Könnt ich her- aus!"(3.470).
Welche Konsequenzen ergeben sich nun, stimmt man nicht mit Wunbergs Vorgabe überein, das „Abbiegen" sei mit dem Passieren des Themas, des Stechlin in seiner Gestalt als Rondell, respektive Fontäne, aufgehoben? Wie, wenn es im Stechlin kein „Abbiegen" gäbe, und das Personal den Weg konsequent weiterverfolgte? Dann müßten „ Aussichtsturm" und „Geisterreich" in Einklang zu bringen sein.
Der Blick vom Turm ermöglicht das Einsehen der näheren Umgebung, aber er zeigt auch die Seenkette und den nächstgelegenen See: den Stechlin. 16 Sehen wir uns das erste Vorkommen des Stechlin im Stechlin einmal genauer an. 17
Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihren Spitzen berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. 18
Behutsame Diktion und eine Häufung von Todesmetaphorik oder Jenseitssymbolen in diesem Textausschnitt lassen den Leser den Eindruck bekommen, er werde in eine Landschaft des Toten- oder Geisterreiches eingeführt. Nicht von dieser Welt sind die mysteriösen Verbindungen des Sees zur Außenwelt, von denen der direkt aus der „Unterwelt" aufsteigende 'rote Hahn' Kunde gibt. In diese Richtung gehen auch die Bedenken der selbst beinahe mythischen Melusine 19 , den See teilweise von seiner Eisdecke zu befreien, damit man den Hahn fliegen sehen könne:
Um Gottes willen, nein. (...) Aber ich bin zugleich auch abergläubisch und mag kein Eingreifen ins Elementare. Die Natur hat jetzt den See überdeckt; da werd ich mich hüten, irgendwas ändern zu wollen. Ich würde glauben, eine Hand führe heraus und packte mich.(284)
Ähnlich faßt es Adelheid in einem Entwurf dieser Passage als Reaktion auf Melusines Verhalten auf:
Da stimmt was nicht. Als Du sagtest Du wolltest das Ufer herunter steigen und sie bis an die Stelle führen, da hättest Du sehen sollen, wie sie sich verfärb- te. (...) Eis zerbricht, wenn eine Kraft da ist. Kraft von unten. Und sie hat sich 91
