Friedrich Rudolf Freiherr von Canitz, den Fontane hier über sein Leben reflektieren läßt, weiß in der geschilderten Situation, daß ihm nur noch wenig Zeit zum Leben geblieben ist, „die Ärzte hatten es ihm gesagt, weil er es zu wissen verlangt hatte". 33
Der Leser oder der Beobachter erkennt es auch aus der Konstruktion und Darstellung des Raumes. Kontrastieren wir nun mit der nächsten Szene, die Waldemar von Haldem unmittelbar vor seinem Suizid zeigt:
Nun schwieg die Musik drüben, und Waldemar, während er zwischen den großen Rondellen auf und ab schlenderte, musterte zugleich die Figuren, die hier mit Hilfe von Sternblumen und roten Verbenen in den Rasen eingezeichnet waren; endlich aber ging er auf eine Bank zu, die, von allerlei dicht dahinterstehendem Strauchwerk überwachsen, einen vollen Schatten gewährte. Da nahm er Platz; (...), und so schloß er unwillkürlich die Augen und fiel in Traum und Vergessen. (...); 'Ich glaube, so kommt der Tod’, (...). Endlich aber flog es (ein Marienwürmchen - U.M.) fort, und Waldemar, sich vorbeugend von seiner Bank, begann jetzt, allerlei Figuren in den Sand zu zeichnen, ohne recht zu wissen, was er tat. Als er sichs aber bewußt wurde, sah er, daß es Halbkreise waren, die sich, erst enge, dann immer weiter und größer um seine Stiefelspitze herumzogen. 'Unwillkürliches Symbol meiner Tage. Halbkreise! Kein Abschluß, keine Rundung, kein Vollbringen ... Halb, halb ... Und wenn ich den Querstrich ziehe', und er zog ihn wirklich, 'so hat das Halbe freilich seinen Abschluß, aber die rechte Rundung kommt nicht heraus'.(5.258 f.)
Aus dem Junimorgen der „Canitz-Passage" ist ein später Sommernachmittag geworden, die Szenerie ist also schon mit einer Abendstimmung unterlegt, schon künstlicher; Haldern hört es von einer nahegelegenen Kirche fünf schlagen. Canitz und Haldem ziehen sich beide auf eine überwachsene, dreiseitig verdeckte Bank zurück, um abzuschließen, um sich Betrachtungen hinzugeben, sich aufs Ende vorzubereiten. Es scheint die Bank ein prädestinierter Platz, ein ideales Refugium dafür zu sein. Auch hier webt Fontane jenes kunstvolle Netz von Vorausdeutungen auf den nahen Tod. Bei Canitz spricht es der Dichter noch aus („Todesgewißheit"), ohne daß es freilich notwändig wäre, das Bild des nachdenklich versonnenen alten Herrn droben auf seiner Lieblingsbank, das Fontane mit raschen Zügen entwirft, und das Erwähnen Venedigs, bei dem all die bereits besprochenen Implikationen auftauchen, geben beredtes Zeugnis von der Todesnähe; bei Waldemar ist es der Raum, der den Gehalt trägt. Die Formulierung „Kahn des Traumes" im Zusammenhang mit Venedig, läßt Reminiszenzen an jenen „ Poetensteig" im Spreewald erwachen, von dem eingangs die Rede war. Also auch hier der „Zusammenhang".
Etwas eigentümlich mutet die Verlagerung der Bank in die Großstadt Berlin an. Der dem inneren Schauen parallele Blick in die weite Landschaft - „Felder und wogendes Korn" - kann natürlich in dieser Form in der Großstadt nicht gegeben sein, obwohl die Meeresmetapher „wogen" bei der Beobachtung der Umwelt wieder aufgegriffen wird. Fontane wählt eine ihm eigene und anfangs bereits erwähnte Metapher für die Vergänglichkeit: das Rondell. Waldemar schlendert „zwischen den großen Rondellen auf und ab", (5258) und wir können annehmen,
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