daß die Bank, die er wählt, freien Blick auf jene Rondelle gestattet. Möglicherweise haben die Kuckucksrufe in der „Canitz-Passage", die ja dem Bereich der Natur entstammen, bei der Transposition der Fabel in den großstädtischen Bereich eine Entsprechung im Fünf-Uhr-Läuten der Dorotheenstädtischen Kirche und dem Nachschlagen der vielen kleineren Uhren gefunden. Ein kurzer Blick auf Onkel Dodo kann aufklären, welchen Stellenwert die Kuckuckusrufe haben können:
... - dann vernahm ich von fern her das Rufen eines Kuckucks und fragte ihn: 'Wieviel Tage bleib' ich noch?' 'Kuckuck' und dann schwieg er wieder. 'Nur einen Tag ' 34
Zwar fragt in Onkel Dodo der abgespannte Schriftsteller nach dem Tag seiner Abreise, nimmt man jedoch die abergläubische Frage an den Kuckuck als Frage nach der Anzahl der verbleibenden Lebenstage, so wird verständlich, warum Canitz wehmütig lächelt. Er will die Rufe zählen, aber der Kuckuck schweigt, die Zeit ist abgelaufen.
Konsequent also, in Stine den Glocken- oder Stundenschlag Pendant jenes Todesverkünders werden zu lassen.
Denn auch Waldemar zählt die Schläge, er beobachtet seine Umgebung und „freute sich des regen und doch stillen Lebens, das hier überall auf und ab wogte”.( 5.258)
Bleibt man bei der Deutung im chronologischen Bereich, so ermöglicht „fünf Uhr" einmal die Assoziationsreihe, die über die Arbeitswelt läuft und Gedanken von „Tagesende", „Ruhe", „Feierabend" mit sich bringt; in der Terminologie eines der späten Briefe Fontanes ist es die Stunde, die Waldemar „in den Sonnenuntergang" sehen läßt. 35
Die Figuren, die Canitz unbewußt in den Sand zeichnet - äußerer Ausdruck eines Versinkens in Gedanken - selbstverständlich ihrerseits wieder Metapher für die Vergänglichkeit; was wäre flüchtiger, als die sprichwörtlichen „Figuren im Sande"? -, werden allerdings in Stine mit Bedeutung - wobei der metaphorische Gehalt hinzutritt - unterlegt. Eine denkbare Form, einen Halbkreis mit einem Querstrich zu schließen - die lautliche Assoziation „Querstrich ziehen" - „Schlußstrich ziehen" verweist bereits sehr eindringlich auf den bevorstehenden Selbstmord -, ist das „P", das in diesem Falle als Initial für „Pittelkow" genommen werden kann.
Versteht man sich dazu, die Wanderungen, abstrahiert von ihrer eigenständigen literarischen Bedeutung und Wichtigkeit, als eine Art Notizbuch Fontanes anzusehen, als „Kasten", in dem Material gesammelt wurde, „um von dort von Zeit zu Zeit vorgenommen zu werden" 36 , so zeigt sich, daß das Motiv der in Meditationen versunkenen Person auf einer Bank in Stine aufgegriffen, poeti- siert und intensiviert worden ist.
Wenden wir uns nun der Verarbeitung einer ähnlichen Szenerie im „Stechlin" zu.
Woldemar hat seinen Ruf nach England bekommen, und Dubslav schickt sich an , nach einem vorherigen Gespräch mit Lorenzen einen Spaziergang zu unternehmen.
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