Kenntnis der anderen Textstellen nicht ein Fakultatives, ein „Dazu" für den Genuß des Lesers, dem sich der Hintergrund dioramatisch erhellt, sondern ein unabdingbares „Muß", ohne das dieses bewußte Symbol nicht verstanden werden kann.
Die Technik
Als Motto über diesem Versuch könnte die Goethesche Sentenz stehen „daß sich der Leser productiv verhalten muß, wenn er an irgend einer Production Theil nehmen will !" 44
Ohne nachkonstruierende Produktivität bliebe die - nicht erschöpfend - aufgezeigte Dimensionalität verschlossen, der Leser würde der Wahrnehmung entgehen, „daß noch Leute hinter dem Berge wohnen" 45 , die es wohl wert wären, daß man sie kennenlernte. Fontane bleibt auch in seinem letzten Werk einer Bildlichkeit treu, die in seinen Schriften, von den ersten Notizen her, angelegt ist. Damit schafft er einen „Verweisungskosmos" 46 , in dem der Stellenwert und die Bedeutung der einzelnen „Bilder" abzulesen sind. Selbstverständlich hat jeder Roman, jede Erzählung, jeder Bericht aus den Wanderungen seine Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit; jedoch gibt es einen Prozeß der Erprobung bestimmter Bilder, Kontexte, Situationen - dies gilt auch für Personen, davon soll jedoch an dieser Stelle nicht die Rede sein -, der sich durch das ganze Werk Fontanes zieht, und der die Entwicklung eines Bildes - oder auch einer Kulisse - von der „einfachen" Funktion in einem Textabschnitt bis hin zum „konstruierten" Symbol beinhaltet. Sie können dabei auch durchaus zweierlei Symbolik transportieren, wie dies am Beispiel des Stechlinsees demonstriert werden kann.
Der Stechlinsee funktioniert einmal im Roman gemäß Fontanescher Gestaltung mit allen angelegten, intendierten Bedeutungsimplikationen. Dieser Komplex steht in der Verantwortlichkeit und Konstruktionskraft des Schriftstellers, er ist von ihm zu steuern. Dann aber tritt - wie Behrend es ausdeutet 47 - weiteres, von Fontane Unabhängiges hinzu: die eigene, immanente Symbolkraft von „See" und „Wasser": „Das Symbol des Wassers als Verkörperung des Formlosen, ewig sich Bewegenden ..." 48
Doch kehren wir von diesem kleinen Exkurs zurück zur Technik Fontanes, die noch einmal kurz rekapituliert werden soll. Der Autor entwickelt in seinen Schriften eine Bildlichkeit - hier verstanden als Gesamtheit des Fontaneschen Bildinventars -, die er thematisch „speichert", etwa nach Art eines Notizbuches, und in ähnlich zu gestaltenden, thematisch adäquaten Textpassagen neuer Werke als „Vorlage" benutzt. Hier erfahren die Bilder ans Kolorit gebundene Anpassungen, wie etwa die Reihe „Kuckucksrufe - Glockenschläge - Axtschläge" zeigt oder werden, wenn Modulation nicht erforderlich ist, „zitiert", wie etwa das Rondell oder der Poetensteig. Denkt man nun jede Variationsstufe eines Motivs als Folie und konstruiert sich die Folien in ihrer Transparenz aufeinandergelegt, so „durchschaut" man die betreffende Motivik im Werk. Vincenz 49 spricht in ähnlichem Zusammenhang von „Tiefendimension", noch genauer aber faßt Rost das Gemeinte: „Es kommt Fontane auf das Erfassen der
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