ter, ungefühlter Tod!" Indem Jenny die Todesthematik des Gedichts (willentlich?) negiert und eine „poetische Welt" feiert, die sich in leeren Formeln („vor allem gelten mir auch die Formen") und im Ideal des sangbaren Liedes („Am reinsten aber hab ich das Ideal im Liede") ausdrückt (29), reduziert sie die Poesie auf eine unverbindliche Gefühlsduselei.
2. „Das Unglücksding"
Das den zweiten Romantitel liefernde, zweimal vorgetragene und zweimal abgedruckte Lieblingslied Jenny Treibeis dient zweifellos auch zur Illustrierung solcher Literaturvorstellungen. Dennoch weist es darüber hinaus. Schon der erste Eindruck des Vortrags ist ein „inniger"; der Engländer Nelson, dessen sicheres Urteil dem Leser bald auffällt, zeigt sich nicht nur aus Höflichkeit davon beeindruckt („Wonderfully good"). Seine Formulierung läßt freilich offen, ob er eher im Gedicht oder im Vortrag die deutsche Wesensart adäquat ausgedrückt findet: „Oh, these Germans, they know everything" (51). Diese Einschätzung entspricht ziemlich genau dem Urteil des Dichters Schmidt am Ende des Romans: „Es ist etwas damit, es ist was drin" (212). Beide artikulieren in ihrer Undeutlichkeit das nicht genau Faßbare der Poesiewirkung.
Über den Grad der Trivialität des Lieds mag man streiten 12 , auch darüber, ob es sich wie beim fiktiven Verfasser Schmidt um eine aufbewahrte poetische Reminiszenz Fontanes oder um ein speziell für den Roman verfaßtes sentimentales Produkt handelt 13 . Viel wichtiger ist indes die Beobachtung, daß das Lied in vier Brechungen und Lesarten erscheint.
Zunächst spiegelt das Lied unmittelbar das Jugendverhältnis zwischen Jenny und Wilibald als Dokument ihrer Liebe. Schmidt hat es, wie er sich erinnert, im Hochgefühl seiner Liebe zu Jenny gedichtet 14 ; er hat es auch, in Anpassung an Jennys literarische Vorlieben, so auf ihren Geschmack zugeschnitten, daß es nicht nur das Gefühlserlebnis abbildet, sondern auch zum wirkungsvollen Vortrag geeignet ist:
da war sie schon genauso wie heut und deklamierte den „Taucher" und den „Gang nach dem Eisenhammer" und auch allerlei kleine Lieder, und wenn es recht was Rührendes war, so war ihr Auge schon damals in Tränen, und als ich eines Tages mein berühmtes Gedicht gedichtet hatte, du weißt schon, das Unglücksding (86)
Nimmt man Jennys Hinweis auf ihren Lieblingsdichter Herwegh ernst, so zeigt sich, wie sehr das von ihr zitierte Herwegh-Gedicht zumindest strukturell für den Dichter Schmidt die unterschwellige Vorlage gebildet hat! Herwegs zweites Gedicht seiner Strophen aus der Fremde arbeitet nach demselben Reihungsprinzip loser poetischer Bilder wie Schmidts Lied; dieser hat natürlich Her- weghs elegische Stimmung - es handelt sich ja um ein monologisches Todesgedicht - im Geist seiner eigenen Liebesbeziehung ins Positive gewendet, jedoch die Bildlichkeit beibehalten. Ging es Herwegh um den Verscheidenswunsch des Einsamen („hingehn ohne Spur") und dem befürchteten wahren Ende:104