Heft 
(1992) 54
Seite
113
Einzelbild herunterladen

Entwicklungsromanen verglichen, z.B. mit StendhalsLe Rouge et le Noir" oder FlaubertsL'fiducation sentimentale", deren Helden mehr Lebenskraft besitzen (vgl. Stern, 1971; Fuerst, 1941).Martin Salander" wurde nicht ein­mal separat behandelt, sondern nur nebenbei als die schwächste Leistung Kel­lers erwähnt.

Die Rezeption Fontanes in Amerika setzte später, aber auch wesentlich langsa­mer als die Kellers ein. 24 Bis zum ersten Viertel des 20. Jhs. erschienen nur Irrungen, Wirrungen (1917 in der Reihe der HarvardGerman Classics") und in gekürzter Fassung Effi Briest (1913) in englischer Übersetzung; im selben Zeit­raum wurde Fontane in Zeitschriften wie auch in Literaturgeschichten kaum erwähnt. In der frühen Forschung wurde er dagegen als Vorläufer (Vater) des modernen Realismus (vgl. Soissons, 1904) oder als der hervorragendste deut­sche Realist des 19. Jhs. bezeichnet (vgl. Hayens, 1920; Hewitt-Thayer, 1924). 25 Im Gegensatz zu der im ganzen positiven Rezeption Fontanes in der bisherigen Forschung hielt Kohn-Bramstedt (1937; Bramsted, 1964) Fontane aber für einen relativunpolitischen" Autor ohne besondere Bedeutung im europäischen Kontext (vgl. hierzu auch Lange, 1945). Aber auch wenn Auerbach (1953) die deutsche realistische Literatur vom europäischen Realismus ausschloß, hob er gerade Fontane, den er aber viel weniger als Autor schätzte als Gotthelf, Stifter oder Keller, und dessen Berliner Romane hervor, in denen man Ansätze eines echten zeitgenössischen Realismus erkennen konnte (vgl.Mimesis", S. 456- 59). Mullen betrachtet Auerbach als den bedeutendsten Auslöser der modernen anglo-amerikanischen Forschung, in der Fontane ziemlich konsequent aufge­wertet wurde, indem versucht wird, entweder Auerbachs Realismusbegriff zu erweitern oder Fontane mit anderen ausländischen Autoren von europäischem Rang zu vergleichen (vgl. Pascal, 1956; Rowley, 1962; Stern, 1964, 1971; Sasse, 1068). 26 In den 1960er und 1970er Jahren wurde Fontane alsviktorianischer" Autor (Fuerst, 1966), als repräsentativer deutscher Realist seiner Zeit, dessen Werke aber auch über den poetischen Realismus hinausgehen (vgl. Field, 1975), 27 oder als bedeutendster Vorläufer des modernen deutschen Romans (vgl. Hatfield, 1969) 28 behandelt. Als repräsentativ für die frühen 1980er Jahre führt Mullen drei Buchpublikationen an, nämlich die von Garland (1980), der Fontane mehrfach mit Jane Austen vergleicht, Wittig-Davis (1983), die Gemein­samkeiten (communality, novel associations) im Leben und Werk von Fontane und George Eliot hervorhebt und Bance (1982), der in Analysen einzelner Romane, die eigentlich mehr für Kenner gedacht sind, die Verflechtung von Prosa (objective facts) u. Poesie (higher poetic truth) untersucht. Sonst bespricht Mullen eine Reihe von Einzeluntersuchungen zu Effi Briest, da dieser Roman immer wieder zu den besten Romanen Fontanes gezählt wird. 29 Zum Schluß weist Mullen auf dieparadoxe" Situation Fontanes hin, der gerade wegen der Auffassung in der modernen Forschung (z.B. Rowley, 1962), er sei k e i n "typischer" deutscher Autor, sondern ein Realist in der europäischen Tra­dition, immer noch nicht in Literaturkursen (in English/Comparative Literatu- re Departments) über den europäischen Realismus aufgenommen wird, auch wenn inzwischen alle seine Hauptromane ins Englische übersetzt worden sind.30 113