Obwohl Übersetzungen einzelner Novellen von C.F. Meyer schon im späten 19. u. im frühen 20. Jh. erscheinen, enthalten die Zeitschriften der Zeit keine Interpretationen. Die kritische Rezeption setzt auch relativ spät ein (vgl. Arthur Burkhard, 1928,1932). Bennett (1934) bezeichnet Meyer zwar als den „aesthete and virtuoso" der deutschen Novelle, hält ihn aber für weniger bedeutend als Keller und meint, er sei zu „personal" u. „original", um wesentlichen Einfluß auf die weitere Entwicklung der Novellengattung ausüben zu können. Wegen des Themas (vgl. T.S. Eliots Stück „Murder in the Cathedral", 1935) steht „Der Heilige" im Mittelpunkt der Forschung; Bennetts kontroverse Interpretation der sogenannten „Grace-Episode" (nicht der Konflikt zwischen dem König u. Becket, sondern die Entführung von dessen Tochter sei das eigentliche Thema) hat eine ähnliche auslösende Wirkung auf die weitere Meyer-Forschung gehabt wie Auerbach auf die moderne Fontane-Forschung (vgl. Hardaway, 1943; Silz, 1954; Coupe, 1963; Tusken, 1971). Mullen vermutet aber, daß Bennetts negative Bewertung von Meyer wesentlich dazu beigetragen hat, daß in Amerika eine breitere Rezeption seiner Werke, also über die fachwissenschaftliche hinaus, immer noch ausbleibt. Zwar gilt Marianne Burkhards Einführung zu Meyer (1978) in der bekannten Reihe von „Twayne's World Authors" (Boston) als eine ausgezeichnete Informationsquelle, 31 aber die amerikanische Ausgabe der „Complete Narrative Prose of C.F. Meyer" (1977) ist inzwischen vergriffen. Auch wenn die Schauplätze seiner Geschichten nicht, wie bei Storm u. Keller, auf Deutschland oder die Schweiz beschränkt sind, werden Meyers Novellen - im Gegensatz zu Keller u. Storm - selten in Anthologien aufgenommen.
Auch einzelne Novellen von Storm erschienen schon im 19. u. im frühen 20. Jh. in englischer Übersetzung („Immensee", 1863; „Aquis submersus", 1910; „Der Schimmelreiter", 1913). Aber abgesehen von einem knappen Nekrolog in „Athenaeum" (1888) wurde Storm in Zeitschriften des 19. Jhs. nicht erwähnt. Laut Mullen enthält Bennetts Geschichte der deutschen Novelle (1934) die erste, freilich begrenzte Untersuchung von Storms Prosa auf englisch (vgl. dagegen Anm. 12). Während die sogenannte „Stimmungsnovelle" (bes. „Immensee") im Mittelpunkt der frühen Storm-Forschung stand, beschäftigte sich die moderne Forschung (so z.B. Browning, 1951; Bernd, 1963; McCormick, 1969) zunehmend mit Storms Erzählkunst (frame, craft of fiction, literary tech- niques). Mullen bespricht auch eine Reihe von Einzeluntersuchungen zu den ersten u. letzten Novellen Storms, nämlich zu „Immensee" u. „Der Schimmelreiter" (z.B. McHaffie/Ritchie, 1962; Silz, 1954; Ellis, 1974), die überhaupt am meisten übersetzt und interpretiert wurden. Trotz der bekannten Studien von Bennett u. Silz wurden Storms Novellen nicht im Literaturunterricht behandelt. 32 Sie wurden aber oft in Anthologien aufgenommen, weil sie sowohl in thematischer als auch in stilistischer Hinsicht als weniger anspruchsvoll als Meyers Novellen galten. Deshalb vermutet Mullen, daß Storms Novellen ein breiteres Lesepublikum erreicht haben. Dagegen stellt sie fest, daß das Interesse an Storm seit den 1960er Jahren nachgelassen hat. 33
Raabe hat am wenigsten Zugang zu Lesern in England u. Amerika gehabt. Im 19. Jh. erschienen nur zwei Romane in englischer Übersetzung: „Abu Telfan"
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