Mißverständlich kann Fontanes Auseinandersetzung mit Storm auch im Hinblick auf seine eigene Stellung zu Preußen erscheinen. Bereits Schach von Wuthe- now macht 1882 deutlich, daß ihm die historische Problematik der „Episode" Preußen - wie es in dieser Erzählung aus der Zeit des Regiments Gensdarmes einer der Figuren in den Mund gelegt ist 52 - und ihr möglicherweise bevorstehendes Ende bewußt war. In den 90er Jahren verschärfte sich seine Kritik, aber Storm rief in ihm wieder die Gegenseite auf den Plan. Die bekannte Ambivalenz des Fontanischen Urteils ist eben nicht zuletzt auch ein Streit mit sich selbst.
Wichtig schien es dem alten Fontane, dem Schriftsteller gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen, was, wie er wußte, nicht durch den Ausweis literarischer Qualität allein zu erreichen war. Daher zeigte er sich entschlossen, vermeintlich weltfremde politische Auffassungen „lyrischer Dichter aus kleinen Städten" 53 ebenso zu denunzieren wie die „gesellschaftlichen Befremdlichkeiten” 5 4, deren Träger sie waren. Fontane sah in Storms Kritik an Preußen nur „Anmaßung und Überheblichkeit", diesem fehlte, so argumentierte er, der Blick für die historische Größe Preußens, und das lag eben an Storms „das richtige Maß überschreitenden lokalpatriotischen Husumerei" 55 , was ihn, wie er an anderer Stelle erklärt, nur „amüsierte",
weil man daran studieren konnte, was selbst so hervorragende Menschen an naivem Vorurteil leisten. Er hätte sich dieser Vorurteile entkleiden können, aber er wollte nicht. Was war es? Ich kann schließlich nichts anderes finden, als daß er und zwar sehr ausgeprägt les defauts de ses vertus hatte, mit einem Worte, daß er mir zu ausgesprochen Lyriker war.5 6
Lohmeier hat zur Erklärung dieser Passage auf Fontanes Kritik des Kreises um Franz Kugler in den 50er Jahren hingewiesen, als einer „bildungsbürgerlichen Haltung, die die Kunst und das öffentliche Leben als Gegensätze sah und sich gegen die politische Welt abkapselte, um sich ihr im Reich des Schönen überlegen zu fühlen." 57 Man mag auch an Fontanes 1891 anonym veröffentlichten Aufsatz Die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller denken, dem im Nachlaß aufgefundene, ältere Aufzeichnungen vorangegangen waren. Was Fontane vorschlug, um die für die überwiegende Mehrzahl seiner Kollegen desolate Situation zu bessern, mutet zunächst befremdlich an: „Es gibt nur ein Mittel: Verstaatlichung, Eichung, aufgeklebter Zettel. (...) Approbation ist das große Mittel, um dem Schriftstellerstand aufzuhelfen." Allerdings scheint Fontane selbst an diesem „großen Mittel" gezweifelt zu haben: „Versagt es, so müssen wir nach einem noch besseren Umschau halten. Auch ein solches ist da. Es heißt: Größere Achtung vor uns selber. " 58
Damals suchte Fontane ein gewisses Arrangement mit den Mächten der Öffentlichkeit nicht aus Opportunismus, sondern weil er von der gesellschaftlichen Aufgabe des Schriftstellers überzeugt war und ihr zur Wirkung verhelfen wollte. Also mußten die Autoren vor dem Anspruch der Gegenwart bestehen- Den Typus des sonderlingshaften, sich über seine Situation täuschenden, mittel- und hilflosen Dichterlings hat er in Versen von äußerster satirischer Schärfe wiederholt verspottet. Man denke an das Gedicht Der echte Dichter (Wie man sich früher ihn dachte): „Ein Dichter, ein echter, der Lyrik betreibt, / Mit einer Köchin ist er beweibt,/ Seine Kinder sind schmuddlig und unerzogen", wobei der ursprüng-