Heft 
(1993) 55
Seite
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erkannte er schärfer als Hedwig Büchting, die aus Storms Werken nur "Keuschheit" herauslas, die teilweise raffinierte Verarbeitung sinnlicher Ele­mente in den poetischen Texten. Gerade diese Fehleinschätzung des Laienpu- blikums mochte ihn erneut provozieren.

Hier interessiert Fontanes Kritik an StormsEroticismus" weniger um ihrer selbst als um der angenommenen Begründung willen, mit deren Hilfe Fontane eine Briefpartnerin zu überzeugen suchte.

Woran liegt das nun alles? Ich glaube das etwas in seiner Natur war, was sich mit dem BegriffKeuschheit" schlecht deckt, aber wenn ich mich hierin irren sollte, nun so wird das, was ich denBeigeschmack" genannt habe, durch seine kirchthurmpolitische Weltanschauung geboren, durch seinen unausrottbaren Hang zum Klügeln, Pusseln, Spintisieren und Austitschen. Er bekuckte und beschnüffelte alles von sieben Seiten, verliebte sich in Enges und Engstes und dieses beständige liebevolle Streicheln kleiner Dinge (worin, wie ich wohl weiß, auch seine Größe liegt) macht einen zuletzt unwirsch und wahrscheinlich auch ungerecht. Aber die halbe Schuld an dieser Ungerechtigkeit trägt er. Er war ein ewiger Verklärer der Erica-Haide, des Deichs, des Regenpfeifers, ja, wenn es ihm paßte, der Husumer Käserinde. (...) Jegliches, was ihm zwischen die Finger kam, war wichtig und durch diese eigenthümliche schleswig-holstei­nische Wichtigthuerei schädigt er seine schönsten Sachen.

Bei Licht und aus dem Abstand der Jahre betrachtet, ist Fontanes Argumentati- on keineswegs schlüssig. Am leichtesten fällt uns, das Fragwürdige der histo- risch-politischen Implikationen zu erkennen. Wenn Fontane von den Kämpfen der schleswig-holsteinischen Geschichte nur mitdBalladenrespekt " spricht un bemerkt, neben Hochkirch und Kunersdorf - er wählt, wie er schreibt,tmi Absicht die Namen preußischer Unglücksschlachten, weil wir uns diesen Luxus leisten können" - ginge dochdieser ganze Kleinkram in die Luft" 50 , so antwortet ihm überwiegend wohl kein zustimmendes Gefühl des Lesers mehr. In unserer seit Fontanes Tagen tief veränderten Welt ist der einst legendär verklärte preußi- sche Waffenruhm nur noch eine historische Reminiszenz. Hingegen haben regionale Traditionen und mit ihnen Regionalgeschichte ihre Lebenskraft in der Gegenwart erneut bewiesen. Offenbar sind sie von längerer Dauer als die expandierender Machtstaaten. Auch hatten Storms politische Gesinnungen denen Fontanes die größere Geradlinigkeit voraus. Daraus soll nun keine Argumentation zuungunsten von Fontane abgeleitet werden, denn gewiß hatte dieser es schwerer als der Husumer, sich unter wiederholt einschneidend ver- änderten, widersprüchlichen Bedingungen zu orientieren. Aber dem Schles­wig-Holsteiner nun im Gefühl überlegener Einsicht und Kraft zu begegnen, mochte noch so sehr die politische Notwendigkeit vermeintlich auf seiner Seite sein, hatte er wenig Grund. Dabei bleibt festzuhalten, daß die selbstgefällige Mentalität des Stärkeren Fontanes Sache zu keiner Zeit gewesen ist. Storm for­derte ihn offenbar heraus durch seine Haltung, aber Fontane berücksichtig­te wohl nicht genügend, eine wie viel stärkere historische und auch demokrati- sche Legitimation Storm auf seiner Seite wußte, dessen Herkunft, wie Bollen- beck bemerkt,in einem tieferen politischen Sinn außerhalb Deutschlands gelegen war . 51

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