Heft 
(1993) 55
Seite
42
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rischen Beruf umgegangen sind. So sehr zeigt Fontane sich bemüht, den Unter­schied zwischen Storm und sich herauszuarbeiten, daß er sogar - was seine Person angeht - ein Stück weit das preisgibt, was ihn doch nun wirklich mit Storm verbindet, die ungeteilte Hingabe des Künstlers an den künstlerischen Beruf. Und er stellt, nicht eben zimperlich, problematische Verbindungen her: der dichterische Typus Storm scheint verbunden mit einem enervierenden Pro­vinzialismus und mit geringer politischer Urteilsfähigkeit, die die von Preußen und Deutschland in Europa geschaffenen Realitäten nicht erkennt; Fontanes größere Distanz zu Literatur und Kunst verbindet sich dagegen mit der Lon­don-Brücke, d.h. mit 'Welt' und einem nicht in politischer Kleingeisterei befan­genen Denken, das sich Storm und den 'vielen Stormen' im Urteil überlegen erweist.

Kirchturmspolitik und Erotik

Drei kürzlich von Dieter Lohmeier erstmals veröffentlichte Briefe Fontanes an eine sonst nicht weiter bekannte Empfängerin bestätigen und ergänzen den Eindruck, der sich aus den bisher berücksichtigten Materialien insgesamt gewinnen ließ. 43 Hedwig Büchting - so der Name der Adressatin - hatte sich an Fontane gewandt, weil sie an dessen Kennzeichnung Storms alsangeblichen Unschuldserotiker" im Vorabdruck des für Von Zwanzig bis Dreißig bestimmten Storm-Kapitels in derDeutschen Rundschau" Anstoß genommen hatte. Fon­tane stellte ihr darauf einenkleinen Essay"44, d.h. einen längeren Brief, in Aus­sicht, den er am 24. August 1896 von Waren aus auch absandte, wobei er nicht versäumte, darauf hinzuweisen, daß kein Platz geeigneter sein könne, über Storm zu schreiben, als diese Lokalität am Müritzsee, die ihn an diegraue Stadt am Meer" erinnerte. 45 Nach dem Empfang eines Dankbriefs von Hedwig Büchting schrieb er noch ein weiteres Mal.

DieBesonderheit seines Eroticismus oder wenn das Wort nicht geht seiner Erotik''4 6 sucht Fontane in diesen Briefen über Storm herauszuarbeiten. Mehr noch als wenn er sich über dessen Lyrik äußerte, handelte es sich dabei um ein altes Reizthema für ihn. Ungeachtet seiner anderen Auffassungen über das Wesen des Lyrischen und gelegentlichen Kritik im einzelnen, bewunderte er Storm als Lyriker aufrichtig. Der spezifischen Sinnlichkeit von Storms Dichtungen hinge­gen wußte er keine gute Seite abzugewinnen, und er rieb sich beständig an ihr. Im Rückblick mag es verwundern, daß ein Künstler wie Fontane die ästheti­sche Berechtigung, ja Notwendigkeit dieser sinnlichen Züge im Werk des Husumer Dichters nicht akzeptierte. Gewiß war auch hier viel Persönliches mitbestimmend. Die ersten Verstimmungen zwischen ihm und Storm waren im Anschluß an Vorwürfe entstanden, die ihm dieser wegen seiner Neigung zu erotischen Frivolitäten machte. 47 Mehr noch als Sinnlichkeit, nämlich Lüstern­heit, meinte seinerseits Fontane in Storms Dichtungen wahrzunehmen. Er selbst war sich dessen bewußt, kein Meister der Liebesgeschichte zu sein:keine Kunst kann ersetzen, was einem von Grund aus fehlt", schrieb er über Graf Petöfy an Emilie, betonte aber im Anschluß sogleich, es sei sein Stolz und seine Freu­de, daß er denStormschen ,Bibber' nicht habe. (...) Storm ist ein kränkliches Männchen und ich bin gesund trotz meiner äußren Kränklichkeiten.lich "48 Natür