Weltgeltung innerhalb dieser sozialen und ökonomischen Gegebenheiten vollzieht, und Fontanes Entschluß von 1876, sich auf die Risiken, aber auch die Freiheiten der Existenz des „freien Schriftstellers" einzulassen, kommentiert Sollmann mit einem Satz, den jeder Fontane-Freund gerne unterschreiben wird: „Mit Fontanes Entscheidung von 1876 tritt der Realismus in die deutsche Literatur" (S. 16). Über manche andere Einschätzung Sollmanns könnte man freilich streiten, was aber eher für als gegen sein Buch spricht. Daß die „Trennung des fortschrittlichen Briefschreibers vom verklärenden Poeten (...) künstlich und überflüssig" ist, aber „zur Bastion der einschlägigen, eher konservativen Fontane-Forschung" gehört (S. 17), scheint mir ebenso fragwürdig wie Sollmanns Warnung vor einer „fortschrittlichen" Vereinnahmung Fontanes (S. 18); gegenwärtig sind eher konservative Vereinnahmungstendenzen zu beobachten wie etwa in Gerhard Friedrichs „Fontanes preußische Welt" (1988).
Der Abschnitt „Struktur des Textes" bringt eine von Kapitel zu Kapitel fortschreitende Lektüre des Romans, wobei Sollmann der Gefahr bloßer Inhaltsparaphrase nirgends erliegt. Seine Interpretation weist den kleinsten Details - bis hin zu den von Botho mitgebrachten „Knallbonbons" und deren „Kurzlebigkeit", die auf die Vergänglichkeit der Liebesbeziehung zwischen Botho und Lene hindeutet - ihre Bedeutung zu, ohne daß sie in die Nähe der Überinterpretation gerät. Diese Vorgehensweise hat indessen auch ihre Tücken; übergreifende Strukturen lassen sich bei einer solchen schrittweisen Deutung schwer erhellen. Das folgende Kapitel „Gedanken und Probleme" kann diesen Mangel jedoch wieder ausgleichen, denn dort konzentriert sich Sollmann auf drei Fragenkreise. Zunächst versucht er eine Erörterung der Frauenproblematik in Fontanes Romanen, indem er Lene zu anderen Frauengestalten in Fontanes Romanwerk - vornehmlich Cécile und Stine - in Beziehung setzt. Lene gehört zu den Frauengestalten Fontanes, „die letztlich die Überprüfung gesellschaftlicher Formen provozieren" (S. 81). Ihre Funktion in Irrungen, Wirrungen sieht Sollmann in der „kontrastierende(n) Komposition", der Konfrontation der Angehörigen des „Vierten Standes" mit dem Adligen: „Während Lene arbeitet, liest Botho Zeitung bzw. antizipiert den Tagesablauf in seinen verschiedenen Phasen gesellschaftlichen Müßiggangs (...). Um diesen Kontrast geht es Fontane, nicht um funktionslose, wenngleich möglicherweise beeindruckende Milieuschilderungen" (S. 80). Solche Schilderungen spart Fontane aus; Sollmann argumentiert jedoch, daß in der Entstehungszeit des Romans die Lage der Textilarbeiterinnen, zu der er aufschlußreiche Informationen mitteilt, dem Lesepublikum durchaus bekannt gewesen ist. - Im zweiten Teil des Abschnitts »Gedanken und Probleme" wendet sich Sollmann Botho zu, den er - anschließend an Müller-Seidels Charakterisierung des „halben Helden" - als den »modernen Helden" auffaßt, „dem oft nur zuschauend das Leben widerfährt (S. 82) und dem er eine „affektive Armut" attestiert, „die ihn durch Lene auch gefühlsmäßig überfordert sein läßt" (S. 82). - Der Schluß des Abschnitts bringt eine Deutung des Romanschlusses, die allerdings kaum über das bisher in der Fontane-Forschung zu diesem Problem Gesagte hinausgeht.
Das Kapitel „Zur Rezeptionsgeschichte" bringt eine Reihe von zeitgenössischen und aktuellen Äußerungen - von Lukács bis Alexander von Bormann ,